Andreas von Rétyi
In antiken Berichten finden sich vielfach Schilderungen zu einem rätselhaften Metall, das als »Oreichalkos« bezeichnet wird. Platon beschreibt es als feurig schimmerndes Metall, von den Atlantern beinahe so hoch geschätzt wie Gold. Taucher haben nun in einem uralten Schiffswrack zahlreiche Barren aus einem ungewöhnlichen Metall entdeckt und geborgen. Handelt es sich dabei um das legendäre Oreichalkos?
Vor der Küste Südsiziliens machten Taucher einen wirklich außergewöhnlichen Fund: Im Wrack eines vor rund 2600 Jahren gesunkenen Schiffes stießen sie auf insgesamt 39 Barren aus einem gelblichen Metall. Das 2014 entdeckte Schiff liegt etwa 300 Meter vom Hafen der italienischen Stadt Gela entfernt, in lediglich drei Meter Wassertiefe.
Die Entdeckung könnte Licht in ein schillerndes Kapitel antiker Geschichte bringen. Sie führt über alte Mythen und Erzählungen bis hin ins sagenumwobene Atlantis.
Bislang wurden nur die ungewöhnlichen Barren durch die sizilianische Meeresbehörde geborgen. Deren Leiter, Sebastiano Tusa erklärt: »Etwas Vergleichbares wurde nie zuvor gefunden«. Wie er spekuliert, handelt es sich dabei um das in antiker Zeit vielfach erwähnte Metall Oreichalkos.
Doch sogar in der Antike schien keine Klarheit über die Natur dieses Materials bestanden zu haben. Einige moderne Autoren vermuteten, man könnte in der Spätantike nichts anderes als Messing damit gemeint haben.
Für frühere Zeiten dürfte dies allerdings kaum gelten. Platon erwähnt Oreichalkos in seinem Atlantisbericht und spricht von einem archaischen Material, das zu seiner Zeit nur vom Namen herbekannt war, wobei allein die Übersetzung des Wortes auf Schwierigkeiten stößt.
Da sich der Begriff aus den griechischen Substantiven órosfür Berg und und chalkós für Erz zu ergeben scheint, wäre die direkte Übersetzung »Bergerz«. Andere sprechen von »Kupferberg« oder von »Goldkupfererz«. Da zuweilen auch von »Aurichalcum« die Rede ist, kommt Gold wiederholt ins Spiel.
Überhaupt kursieren die unterschiedlichsten Deutungen zu jenem Material. Da wurden sogar Bernstein, Obsidian und Harzopal ins Feld geführt, ohne Rücksicht darauf, dass einst von einem Metall die Rede war, sogar gleich nach Gold am meisten geschätzt, so Platon.
Erfunden worden sein soll es ursprünglich von Kadmos, dem mythischen König von Theben. Die atlantische Königsburg und ihr Tempel sollen mit Oreichalkos bedeckt gewesen sein.
Der emeritierte Physikprofessor Enrico C. Mattievich Kucich befasste sich intensiv mit der Auslegung altgriechischer Texte sowie dem Rätsel von Atlantis, das er allerdings in die Bronzezeitverlegt.
Er hält die alten Griechen für die eigentlichen Entdecker Amerikas, wobei andere Forscher sogar Hinweise auf noch frühere seefahrende Kulturen ins Feld führen. Nach der Ansicht von Professor Mattievich jedenfalls ist Platons Atlantis tatsächlich in Südamerika zu suchen.
Ebenso verknüpft er das geheimnisvolle Oreichalkos mit einer Goldlegierung, die völlig natürlich im Andenraum vorkommt: In präkolumbischer Zeit wusste man dort noch von einem Metall namens Coricollque, das aus 76 Prozent Gold, 15 Prozent Silber und neun Prozent Kupfer bestanden habe. Er sieht darin nichts als das platonische Oreichalkos.
Verschiedenste Querverbindungen lassen auf einen frühen Kontakt zwischen Menschen beiderseits des Atlantiks schließen. Auch die Geschichte um Oreichalkos weist in diese Richtung. Was nun die Art der Legierung betrifft, wie sie auch von Mattievich zitiert wird, passt sie jedenfalls nicht zu dem, was an Bord jenes antiken Schiffswracks entdeckt wurde.
Eine aktuell durch Dario Panetta von Technologies for Quality(TQ) ausgeführte Röntgenfluoreszenz-Analyse der ungewöhnlichen Barren ergab eine Legierung, die zu 75 bis 80 Prozent aus Kupfer besteht, dazu aus 15 bis 20 Prozent Zink sowie geringen Beimengungen von Nickel, Blei und Eisen. Mit dem, was Mattievich als Coricollque identifiziert, dürfte zumindest dieser Fund also nicht viel gemein haben.
Derzeit kann niemand sagen, woher das Schiff kam. Die im 7. Jh. v. Chr. gegründete Stadt Gela jedenfalls wird als Zielort vermutet, da hier das Kunsthandwerk blühte und weithin berühmt war. Die Barren waren demnach wohl zur Weiterverarbeitung durch ansässige Spezialisten bestimmt.
Weitere Untersuchungen stehen aus. Tusa und seine Mitarbeiter beabsichtigen nun, das gesamte Schiffswrack zu bergen und die noch an Bord befindliche Fracht genauer zu untersuchen. Vielleicht finden sich hier auch neue Hinweise auf Natur und Herkunft der seltsamen Legierung.
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