Samstag, 31. März 2012

Hexen, Kirche, Frauenquote: Von der unbewussten Dressur des Kollektivs

Emanzipation ist abgeleitet aus dem lateinischen »emancipare«. Im alten Rom wurde mit diesem Begriff der Vorgang beschrieben, in dem ein Sklave aufgrund besonderer Verdienste oder ein erwachsen gewordener Sohn in einem feierlichen Akt mit segnendem Handauflegen aus dem mancipium (Besitz), dem Sklavenstatus, entlassen und in die Eigenständigkeit und die Gleichberechtigung mit der freien Bürgerschaft aufgenommen wurde. Doch was ist aus der Emanzipation geworden? Die wenigsten Menschen wissen, dass die Christianisierung des Abendlandes einen erheblichen Teil zu der schwierigen Rolle der Frau von heute beitrug.

Die Frauenrechtlerinnen führten dieselbe Wortwahl, als sie Emanzipation und Gleichberechtigung für die Frau forderten; aus der Übermacht der Männer heraus und hinein in gleiche Rechte, wie sie auch die Männer hatten. Als am 8. März 1911 durch Initiation von Clara Zetkin der erste Weltfrauentag begangen wurde, stand es um die Rechte der Frau auch in der Tat für heutige Begriffe mehr als schlecht, und der Kampf war berechtigt.



Aber schon als kleines Kind bemerkte ich im Verhalten der Frauen einen Gegensatz, der sich nicht
ohne Weiteres vom gesunden Menschenverstand nachvollziehen lässt: Drei Jahre mag ich alt gewesen sein, als mich meine Mutter einmal kurz nach dem Krieg mit nach Saarbrücken genommen hatte. Die Bilder, die sich mir damals einprägten, kennt jeder, der sich einmal mit der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte Deutschlands auseinandergesetzt und Fotos von damals studiert hat: Berge von Trümmern, Trampelpfade um riesige Trümmerberge herum und selten eine Straße, auf der Autos fahren können. Dann Heerscharen von Frauen, die Bauarbeiten machen. Die einen hämmern und hacken an Backsteinen herum, um sie von altem Mörtel zu befreien und setzen sie säuberlich auf Haufen. Andere kommen mit Schubkarren und Traggestellen auf dem Rücken, laden die hergerichteten Steine auf und fahren oder schleppen sie weg. Wieder andere machen in großen Bütten Mörtel an, und schließlich sind unzählige Frauen auf Gerüsten zu sehen, wo sie, als seien sie gelernte Maurer, ganze Häuserwände hochziehen. Frauen, wohlgemerkt, die so schwere Arbeiten verrichten und dann auch noch, scheinbar wie nebenbei, ihre Kinder großziehen.

Männer waren damals kaum zu sehen. Tauchte wirklich einmal ein Mann auf, fehlten ihm an den Händen mehrere Finger. Oder er hatte nur einen Arm oder nur ein Bein oder sein Gesicht war grässlich verstümmelt. Auch viele kriegsblinde Männer fielen mir als kleines Kind damals auf. Junge, gesunde, kräftige Männer, die bitter nötig gebraucht wurden, waren, sofern sie den Krieg überhaupt überlebt hatten, irgendwo in der Welt in Gefangenschaft. Auch ich hatte meinen Vater erst kennen gelernt, als ich schon über zwei Jahre alt war.

Auf dem Land war es genau so. Auch hier waren es meistens Frauen, die in der Schmiede an Esse und Ambos Hacken, Karste, Eggenzähne und Pflugschare für die Feldarbeit schärften. Führten Pferdegespanne, pflügten, säten, zogen in aller Frühe mit Sensen aus, um zu mähen, fuhren das Heu ein...  Woher sie das als Frau gelernt haben mögen, ist mir bis heute ein unergründliches Rätsel. Sie konnten es eben.

Unweit vor unserem Dorf stand ein total zerschossener Militärlastwagen, um den sich keiner gekümmert hatte. Einige Frauen, darunter meine Tante, taten sich zusammen, krochen unter dieses Fahrzeug und schraubten und taten so lange daran herum, bis sie es tatsächlich wieder ans Laufen gebracht hatten. Doch zwei, drei Jahre später waren die Männer wieder daheim. Im südlichen Saarland rauchten wieder die Schlote der Eisenwerke. Bergleute fuhren wieder zur Schicht. In den beiden Schreinereien meines Heimatdorfes werkten wieder welche. In der Landwirtschaft zogen wieder von Männern gelenkte Pferdegespanne Pflug und Wagen.

Aber die Frauen: Mit der Heimkehr ihrer Männer waren sie wie ausgewechselt. Sie standen in der Küche am Herd, gingen einkaufen, führten sonntags, Kinderwagen schiebend, ihre Sprösslinge aus. Doch das eigentliche Phänomen war, dass sie, obwohl sie sich jahrelang, solange sie es mussten, in Männerarbeit erfolgreich betätigt hatten, jetzt plötzlich von allem was auch nur im Entferntesten nach einer solchen roch, auf einen Schlag überhaupt keine Ahnung mehr zu haben vorgaben oder tatsächlich keine Ahnung mehr davon hatten. Als sei ein Schalter umgelegt worden.

Meinem Vater, der hinterm Haus eine kleine Schmiede betrieb, war ein Gewindeschneider zerbrochen. Ich sollte seinen Bruder, der ebenfalls eine kleine Werkstatt hatte, bitten, uns einen neuen auszuleihen. Doch es war nur seine Frau, meine Tante, zuhause; eine jener Frauen, die  damals mitgeholfen hatten, den zerschossenen LKW wieder flott zu kriegen. Als ich sie bat, mir ein solches Werkzeug für meinen Vater zu leihen, reagierte sie wie vor den Kopf geschlagen. Sie wusste einfach beim besten Willen nicht mehr, was ein Gewindeschneider ist. Dabei erinnere ich mich ganz genau, dass sie früher mit solch einem Werkzeug hantieren konnte wie ein gelernter Schlosser. So klein ich damals war, registrierte ich klar, dass sich Frauen gegen jeden gesunden Menschenverstand dümmer stellen können, als sie sind, und dann den Männern vorwerfen, sie würden nicht ernst genommen. Derartiges erlebte ich, ich weiß nicht mehr wie oft. Als dieser Vorwurf dann in den 1970ern zu einem der generellen Feministenvorwürfe wurde, verstand ich die Welt nicht mehr; so wie damals als kleines Kind, wo ich diese Erfahrung zum ersten Mal zu machen hatte.

Ebenso widersprüchlich ist der beliebte Feministenvorwurf, »Mann« benutze »frau« als Sexobjekt. Hier verweise ich auf den jüngst erschienenen KOPP-Artikel »Nackte Tatsachen: Wie der ›Bachelor‹ unsere Frauen umkrempelt« von Birgit Kelle, einer Frau wohlgemerkt.

Wie Kelle hier schreibt, ziehen sich in dieser von RTL ausgestrahlten Sendung  junge Frauen vor der Kamera aus und stellen sich für die sexuellen Gelüste anderer zur Verfügung, und das für einen zweifelhaften Ruhm. Kelle betont: »Keiner zwingt die Mädchen dazu, an solchen Shows teilzunehmen. Und es sind nicht die Doofen, die dort teilnehmen. (...) und Alice Schwarzer schweigt dazu.« Das ist auch nur eines von einer Unzahl ähnlicher Beispiele, und nicht nur Schwarzer schweigt dazu. Dieses mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbare Frauenverhalten wird allgemein totgeschwiegen oder heftig abgestritten.

Selbiges gilt für die Forderung der Feministinnen: »Gleiches Geld für gleiche Arbeit.« Die Berechtigung dieser Forderung ist unbestritten. Es kann nicht sein, dass eine Krankenschwester, Polizistin oder Briefträgerin über 20 Prozent weniger Lohn/Gehalt/Sold erhält als ihr männlicher Kollege für die gleiche Arbeit, nur weil sie eine Frau ist. Doch wir haben heute im Bundestag so viele Frauen wie nie. Und zwar nicht nur als bedeutungsloses Alibi, sondern in Spitzenämtern als Ministerinnen, sogar als Bundeskanzlerin. Aber was haben diese Damen wirklich schon für das Volkswohl im Allgemeinen und für die Sache der Frau in Bezug auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit im Besonderen bisher geleistet? So viel, dass die Politikverdrossenheit im Volk noch nie so hoch war wie derzeit, und dass auch heute noch, genau wie vor vierzig Jahren, die Lohn- und Gehaltsdifferenz zwischen den Geschlechtern über 20 Prozent zum Nachteil der Frau beträgt. Das sind nur drei von unzähligen Beispielen, wo »frau« einerseits lauthals Emanzipation fordert, sie aber dann wider alle Vernunft selbst boykottiert.

Die unsinnigste Einrichtung in diesem Zusammenhang ist die Quotenregelung. Wirklich starke Frauen wie Bertha von Suttner, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Tausende Ungenannter hatten ihre Erfolge aus echter Stärke. Sie brauchten keine Quotenregelung, und ihre Erfolge wirken konstant bis in unsere Tage. Diese Quotenregelung, die als Schritt in die Gleichberechtigung verkauft wird, ist jedoch nichts anderes als ein Freibrief, um die ach so arme, schwache, hilflose Frau in attraktive und gut bezahlte Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft zu befördern, allerdings ohne jede Verpflichtung, etwas dafür leisten zu müssen. Die eigentliche Arbeit sollen andere machen. Das ist die Art von »Emanzipation«, die unsere heutigen Emanzen meinen.

Dumm sind sie ja nicht, diese Emanzen. Würde und  Stolz ist ihnen aber genau so fremd wie jenen oben erwähnten Mädchen, die sich freiwillig zum Sexobjekt selbst erniedrigen. Aber verurteilt ist schnell. Kaum vorstellbar, dass »frau« sich ganz freiwillig und bewusst derart entehrt und klein macht. Es ist deshalb besser, erst einmal zu fragen: Was treibt »frau« wirklich dazu, sich zu verhalten, als sei sie zum Dummchen dressiert? Hinzu kommt die weitere Frage: Was ist mit den Männern los, dass sie sich all dies stillschweigend gefallen lassen, als seien auch sie darauf dressiert, willenlos diese Zickigkeiten zu erdulden oder gar zu fördern?

Eine überraschend plausible Antwort darauf fand sich, als ich aus Gründen, die mit meinem Beruf als Therapeut zu tun haben, mir umfassenderes Wissen über die Zeit des Hexenwahns verschaffen wollte. Damals ahnte ich noch nicht, was durch diese Arbeit, bei der ich nach was ganz anderem suchte, ans Licht käme. Hierzu ein Fallbeispiel aus dem Hexenwahn anhand der Protokolle aus einem Hexenprozess:


9. April 1578: Fritz Weber, Schmied, erscheint bei Dechant Peter Wirtz und gibt zu Protokoll:
»Ich sah, wie die Sun Claasen in einer dunklen Neumondnacht auf dem Friedhof den Leichnam eines ungetauften Säuglings ausgrub und ihn zu einem Pulver verbrannte. Dieses tat sie in einen Zaubertopf und ließ es aufkochen. Dazu sang sie grässlich und schlug mit Birkenruten immer wieder in den Topf hinein. Bis ein schweres Gewitter mit Sturm und Hagelschlag aufzog, bei dem der Blitz in das Haus des Johann Schillo  einschlug. Das Haus brannte nieder bis auf die Grundmauern. Er, seine Frau und alle acht Kinder kamen dabei um.«


Solche Anzeigen reichten damals aus, um die missliebige Nachbarnin, die zickige Ehefrau, die verhasste Nebenbuhlerin für immer aus dem Weg zu räumen. Beweisführung gab es nicht. Ein Geständnis der Beklagten musste zwar her, doch das wurde in der Folterkammer im »peinlichen Verhör« besorgt. Dies auf eine Weise, dass Friedrich von Spee, einer der bekanntesten Widerständler gegen den Hexenwahn, später schreiben sollte: »Kein deutscher Edelmann würde es ertragen können, dass man seinen Jagdhund so zerfleischte! Wer soll es da ertragen, dass ein Mensch derart schrecklich gepeinigt wird?« Laut Akten rotteten sich ganze Dorfgemeinschaften durch solche gegenseitigen Denunziationen aus.

Dieser Wahn flackerte im späten 15. Jahrhundert auf und wütete in mehreren Wellen bis in die zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Über die Zahl der Opfer streiten sich die Historiker. Die Schätzungen schwanken zwischen 16 Millionen und 860.000. Fest steht aber, dass durch den Hexenwahn ganze Landstriche entvölkert wurden.

Um aber zu verstehen, was der Hexenwahn vor fünfhundert Jahren mit der offenbar zwanghaften Selbstentwürdigung der Frau von heute zu tun hat, muss man auch die Zeit davor durchleuchten. Denn der Samen dazu wurde bereits im tiefsten Mittelalter ausgesät. Um die Zeit Christi war fast der gesamte abendländische Kulturkreis, das heutige Westeuropa nördlich der Alpen, unter römischer Herrschaft. Doch in die Religionen, Lebensweisen und Traditionen dieser Völker mischten sich die Römer damals nicht ein. Es hätte nur kostspielige Unruhen verursacht. Im 3. Jahrhundert n. Chr. bestimmte sogar Konstantin der Große die Religionsfreiheit per Gesetz und beendete damit zunächst die Christenverfolgung.

Eine alt hergebrachte Tradition in der abendländischen Bevölkerung war die ganz natürlich gewachsene Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, wie in jeder gesunden Partnerschaft, die eine Kraftquelle ist. Dies blieb über Jahrhunderte so, bis im sechsten Jahrhundert Kaiser Justinian I., ein fanatischer Christ, an die Macht kam. Er initiierte die Zwangschristianisierung des Abendlandes, die von seinen Nachfolgern mit einer Brutalität weitergeführt wurde, von der das Massaker zu Verden an der Aller durch Karl den Großen eine Ahnung vermittelt. Weil sie sich nicht taufen ließen, ließ er 4.500 unbewaffnete Stammesführer der Sachsen anno 782 an einem einzigen Tag enthaupten, im Namen des Herrn.

Mit dieser Zwangschristianisierung schlug  auch die letzte Stunde der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau bei den nordischen Völkern. Denn in den Augen der Kirche war diese heidnisch, und alles Heidnische war auszurotten. Nach christlichem Dogma hatte sich die Frau dem Mann wie eine Sklavin zu unterwerfen. Christin zu werden bedeutete für die stolze, aufrechte Frau des Abendlandes, sich zur Sklavin und zur Dienstmagd des Mannes zu degradieren. Das ließ sie rebellieren, wobei die »Weisen Frauen« mächtige Anführerinnen mit einer überragenden Autorität waren. Diese Weisen Frauen waren das Pendant zu den männlichen Druiden und Merlinen: Priesterinnen, Ärztinnen, Hebammen, Seherinnen, Sterndeuterinnen, Wettermacherinnen in einer Person. Man nannte sie »Hagedise« (Zaunfee) oder »Hagazussa« (Zaunreiterin). Das waren ehrenvolle Bezeichnungen, vergleichbar mit heutigen akademischen Titeln. Von diesen Ehrenbezeichnungen ist auch der Ausdruck »Hexe« abgeleitet. Die Macht der Frauen war so groß, dass sie mit Gewalt nie zu brechen gewesen wäre.

Als man dies merkte, änderte man die Taktik. Man kriminalisierte gezielt die Hexen und startete eine genial ausgeklügelte, die ganze abendländische Gesellschaft umfassende Verleumdungskampagne gegen sie nach dem Motto: Willst du die Herde treffen, musst du den Hirten schlagen. Nach und nach wurde so der Ruf der Weisen Frauen systematisch zerstört und total umgedreht. Schließlich endete dieser Prozess im Fanal des Hexenwahns. Widerstand gegen den Mann zog in Hunderttausenden von Fällen Folter und anschließende Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen nach sich. Danach war die früher stolze Frau des Abendlandes so demoralisiert, dass sie sich mit Kusshand selbst zur Sklavin des Mannes machte, nur um ihres Lebens und dessen ihrer Kinder sicher zu sein. Genau so, wie es sich Jahrhunderte zuvor die Drahtzieher und Initiatoren vorgestellt hatten.

Das kollektive Gedächtnis ist ein Phänomen, das für die Psychologie noch eine einzige weiße Landkarte ist. Die Wissenschaft weiß so gut wie gar nichts darüber. Doch wie sehr wir von ihm beherrscht werden, zeigt sich zum Beispiel deutlich an der Angst vor Schlangen.  Obwohl die Opfer von Schlangenbissen hier bei uns doch selten sind, reagieren die allermeisten Menschen allein schon beim Anblick einer Blindschleiche mit Entsetzen. Intellektuelles Wissen, dass dieses Tierchen völlig harmlos ist, nutzt hier nichts. Doch wenn sich das Schicksal von vergleichsweise nur wenigen dieser Opfer schon so heftig auf das kollektive Gedächtnis auswirkt, wie mag es auf »frau« wirken, wenn Millionen von ihnen verbrannt wurden, nur weil sie sich weigerten, ihren gesunden Stolz zu verachten und sich zum willenlosen Dummchen zu entwürdigen?

Hier wurde »frau« zu der oben beschriebenen rätselhaften kollektiven Selbsterniedrigung manipuliert. Der Prozess der Zwangschristianisierung des Abendlandes, der im Hexenwahn sein Fanal fand, ist eine einzige riesige Massengehirnwäsche, durch die sich die von Millionen von Frauen gemachte Erfahrung ins kollektive Gedächtnis des Abendlandes eingebrannt haben muss, dass Widerstand gegen den Mann in einen unvorstellbar grausamen Tod führt. Auf die Masse wirkt solch eine Vorstellung wie ein hypnotischer Befehl. So entstand die Dressur, die sich bis in unsere Tage auswirkt und »frau« zu dieser rätselhaften Selbstentwürdigung, wie in obengenannten Beispielen gezeigt, zwingt. Ähnlich wie bei dieser kollektiven Angst vor Schlangen. Die Quotenregelung löst dieses Problem nicht.

Diese kollektive Gehirnwäsche lässt auch den Mann nicht unberührt. Im Gegenteil: Er trägt sogar doppelt. Wenn ein Mann an der alten Tradition festhielt und seine Frau neben sich als Gefährtin liebte und achtete, statt sie als seine Sklavin zu beherrschen, war auch er ebenso von Folter und Feuertod bedroht. Immerhin war jedes vierte Opfer des Hexenwahns ein Mann. Ohne dass er es auch nur im Geringsten ahnt, wirkt auch in ihm bis heute dieselbe Todesangst wie in der Frau. Doch auf ihm liegt noch eine zweite Last: Tiefe Reue wegen der Schuld daran, dass er sich im Kollektiv von den mittelalterlichen Verführern gegen seine Gefährtin einwickeln ließ und sich gegen jedes bessere Wissen gegen sie stellte und die späteren unvorstellbaren Grausamkeiten gegen sie stillschweigend unterstützte. Diese Reue, die zu spät kam, erzeugt heute im Mann den inneren Drang, an der Frau wieder etwas gut machen zu wollen und macht es ihm unmöglich, sich ihren mit nichts zu rechtfertigenden Launen und Zickigkeiten zu widersetzen.

Weil sich dieser Prozess aber rein unbewusst abspielte und sich dem gesunden Menschenverstand entzog, wirken diese Emotionen im kollektiven Gedächtnis bis heute in uns, und dies desto ungebremster, je weniger man davon weiß; wie ein verborgener Schwelbrand,  von dessen Existenz niemand ahnt, um so ungestörter vor sich hinglimmen kann. Das ist die verborgene Dressur des Mannes, die ihn zwingt, entweder die Bockigkeiten der Frau still zu erdulden oder ihnen, wenn sie zu unerträglich werden, mit zerstörerischer Wut zu begegnen.

Die Lösung liegt allein in der bewussten Verinnerlichung der Einsicht, dass die Scheiterhaufen längst erloschen sind, die Folterkammern ausgedient haben und dass kein Hexenrichter mehr eine Delinquentin ins Feuer schickt. Das letzte Attribut des mittelalterlichen Codex Justiniani, nämlich jenes Gesetz, nach dem das Vermögen einer Frau sofort nach der Heirat in den Besitz ihres Ehemannes übergeht, das noch bis ins Dritte Reich Gültigkeit hatte, ist in den 1950er Jahren aus dem BGB gestrichen worden. Damit ist objektiv gesehen schon über ein halbes Jahrhundert das allerletzte Hindernis zu einer Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gefallen.

Auch in Bezug auf »gleiche Rechte und Berufe wie Männer« sind wir nicht mehr im Jahr 1911. 2012 verbietet kein Mann mehr »frau«, Soldatin, Polizistin, Pilotin, Kranfahrerin zu werden. Oder Politikerin und Schiffskapitänin. Oder in der Wirtschaft eine leitende Position zu übernehmen. Sogar Bundeskanzlerin kann »frau« heute sein. Wo eine Frau mit entsprechender Begabung aus traditionellen Frauenberufen hinaus und in traditionelle Männerberufe hinein will, kann sie das heute jederzeit tun. Die einzige Einschränkung ist die Frage der Eignung. Wer schlechte Augen hat, kann kein Pilot werden. Wer nicht führen kann, wird als Unternehmensleiter versagen. Wem aufrechtes Rückgrat fehlt, wird bei jedem Windstoß umfallen. Doch diese Einschränkung gilt für den Mann gleichviel. Wo fehlt es da noch an Emanzipation? Wo werden da Frauen durch Männer versklavt? Und welche Rechte sollen das überhaupt sein, die nur Männer privilegieren  und Frauen klein halten? Objektiv ist die Emanzipation, um die Bertha von Suttner, Clara Zetkin, Rosa Luxemburg und viele Ungenannte zu Recht gekämpft hatten, längst vollzogen.

Dennoch tut Emanzipation not. Doch nicht gegenüber dem anderen Geschlecht, sondern gegenüber den Gespenstern der Vergangenheit, die aus längst überholter Realität stammen und noch immer weitestgehend unerkannt im kollektiven Gedächtnis herumgeistern und wie ein verborgener Schwelbrand, dessen Existenz für eine Sage gehalten wird, ihr Unwesen treiben.

Hier mag man einwenden, dass auch in anderen Kulturkreisen Frauen unterdrückt werden, obwohl es dort nie Zwangschristianisierung und Hexenwahn gab. Hierzu meine ich, dass es dort ebenfalls zu ähnlichen Manipulationen gekommen sein muss, die von einigen verrückten Fanatikern initiiert worden sind. Anders lässt sich solch ein widernatürliches Verhalten nicht erklären. Doch fremde Kulturen so weit auszuforschen, um seriös erklären zu können, warum sich zum Beispiel in Schwarzafrika die Frauen ihre Geschlechtsteile verstümmeln lassen, davon fühle ich mich zum einen überfordert und zum zweiten auch gar nicht dazu berufen. Im Übrigen würde es auch nicht zur Lösung unserer eigenen Probleme führen, wenn wir uns ungebeten um die Missstände anderer kümmern.

Ich kenne nur noch ein einziges Hindernis, das sich der echten Emanzipation in den Weg stellen kann, und auch das liegt nur in uns selbst: Die geistige Trägheit, die uns am Umdenken hindert. Dieselbe geistige Trägheit, die seinerzeit den genialen Mathematiker und Astronomen Kopernikus auf den Scheiterhaufen bringen wollte, als er bewies, dass die Erde  eine um sich selbst drehende Kugel ist. Auch Goethe warnte zu seiner Zeit schon: »Wer gutem Rat zugänglich ist, dem kann geholfen werden. Doch es ist nicht genug zu wissen,  man muss es auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun.«
Quelle:
www.kopp-verlag.de

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