Ein Interview von Uli Weih
In der Wissenschaft herrscht eigentlich breiter Konsens: Der Klimawandel ist von Menschen verursacht. Der RWE-Topmanager Fritz Vahrenholt jedoch gibt sich rebellisch und widerspricht den Forschern mit einer provozierenden These. Seiner Ansicht nach bestehe kein Grund zur Panik, der Weltklimarat habe sich grundlegend geirrt. In Wahrheit wäre nur die Sonne für unser Klima verantwortlich.
Der Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, Jochem Marotzke, hat Vahrenholts Buch "Die kalte Sonne" gelesen. Uli Weih hat für t-online.de mit dem Klimaforscher gesprochen.
t-online.de: Was ist der Ansatz in dem Buch von Fritz Vahrenholt?
Jochem Marotzke: Das Buch versucht zu belegen, dass die Sonne wichtig für unser Klima ist. Da sagen die Klimaforscher: Ja, das wissen wir. Die Frage ist: Kann man die Sonne allein für das verantwortlich machen, was wir in den letzten 30 bis 50 Jahren an Erwärmung gesehen haben. Und da ist die Aussage ganz klar: Nein, das kann man nicht. Man kann die Sonne dafür nicht verantwortlich machen.
Stärkster Treiber für den Klimawandel ist ganz klar die CO2-Erhöhung. Dazu kommt ein Anstieg anderer Treibhausgase wie Methan oder Lachgas. Eine große Rolle spielen auch Aerosole, also Teilchen, die in der Atmosphäre schweben. Aber die dominante Wirkung kommt durch das CO2. Und weil CO2 so lange in der Atmosphäre verbleibt, wird dieses Gas auch in Zukunft unser Klima maßgeblich beeinflussen. Außer wir vermindern die Emissionen von CO2.
Ist diese Einschätzung Konsens unter Wissenschaftlern?
Absolut.
Wenn man Vahrenholt glaubt, besteht im Hinblick auf eine Emissionsminderung kein dringender Handlungsbedarf ...
Herr Vahrenholt sagt: Das Zwei-Grad-Ziel erreichen wir auf jeden Fall - auch wenn wir nichts tun. Das steht im eklatanten Widerspruch zu allem, was wir über das Klimageschehen wissen. Wenn wir zwei Grad wollen, dann muss die Wende ganz schnell kommen.
Die Erderwärmung ist in den letzten zehn Jahren kaum gestiegen. Würde das nicht für eine Entwarnung sprechen?
Wenn wir von Erwärmung sprechen, müssen wir längere Zeiträume betrachten. Denn unser Klima schwankt immer ein wenig, das hat aber natürliche Ursachen. Ähnlich wie so komplexe Systeme wie die Atmosphäre oder die Ozeane nicht statisch sind, sondern variieren, so verändert sich auch das Klima. Wir nennen das interne Variabilität. Sie braucht gar keinen äußeren Antrieb. Zu diesen leicht schwankenden Werten zählt auch die globale Mitteltemperatur beim Klima.
In einem Zeitraum von zehn Jahren, variiert die durchschnittliche Temperatur etwa um 0,2 Grad - aus rein natürlichen Ursachen. Dieser Wert von 0,2 Grad ist aber auch genau das Ausmaß der Erwärmung, was wir auf Grund des gestiegenen CO2-Anstiegs in einem Jahrzehnt erwarten. Das bedeutet, unter Umständen können sich die natürliche Variabilität und die menschengemachte Erwärmung in bestimmten Zeiträumen auch einmal aufheben. Das haben wir in den letzten zehn Jahren gesehen.
Wie kann es nun sein, dass auf unserer Erde, die durch den Klimawandel ständig mehr Wärme aufnimmt, trotzdem die Oberflächentemperatur nicht weiter zunimmt? Der Mechanismus ist klar: Eine Phase der Stagnation bei der Erderwärmung ist verknüpft mit der verstärkten Wärmeaufnahme in den Tiefen der Ozeane. Wie das im Detail funktioniert, erforschen wir gerade. Ein kurzfristig gleichmäßiges Temperaturniveau ist daher mitnichten eine Widerlegung der Klimamodelle.
Was ist von dem Buch zu halten?
Vahrenholt und sein Co-Autor Lüning haben sich durch eine Unmenge von Material gearbeitet, das ist eine beeindruckende Fleißarbeit. Sie haben aber nicht verstanden, welche Aussagen verlässlich und welche zweifelhaft sind. Da sind zwei Menschen, die keine Klimaforscher sind, und die nehmen sich vielleicht tausende Veröffentlichungen vor - eine Ansammlung, die normalerweise von Teams mit dutzenden Wissenschaftlern bearbeitet wird.
Eigentlich schauen sich Wissenschaftler bei wiederstreitenden Thesen genau an, was die Kollegen bei der Forschungsarbeit exakt gemacht haben. In der Folge beurteilen sie, welche Veröffentlichungen glaubwürdig, welche zweifelhaft oder was am Ende sogar fehlerhaft ist. Das ist eine Aufgabe, die viel Zeit, Erfahrung und auch sehr detailliertes Verständnis erfordert.
Insofern ist die Vorstellung, dass sich zwei Amateure daransetzen können, mal gerade eben die gesamte Klimaforschungsliteratur aufzuarbeiten, und dann zu dem Schluss kommen, was die gesamte Fachwelt sagt, ist falsch, also das ist schon etwas abenteuerlich.
Warum haben die beiden dann dieses Buch geschrieben?
Das ist die Gretchenfrage … Es gibt natürlich diese These, das sei alles nur, um dem RWE-Konzern zu helfen, der die Energiewende verschlafen habe. Das klingt plausibel, ob es stimmt, weiß ich nicht. Im Zweifel nehme ich aber erst einmal an, die beiden glauben wirklich daran, dass sie ein Übel aufgedeckt hätten und wollen das mit ihrer Veröffentlichung jetzt gerade rücken. Aber das Buch wird wohl keine nachhaltige Wirkung haben. Ich bin Optimist: Ich glaube, mittel- und langfristig setzt sich die Qualität der Argumente durch. Und die wissenschaftliche Qualität der Argumente in diesem Buch lässt sehr zu wünschen übrig.
Quelle: http://nachrichten.t-online.de