Von Markus Becker
Nur eine nahezu wundersame Verkettung von Zufällen scheint das Leben im Universum zu ermöglichen. Auf der Suche nach einer Erklärung sind Philosophen auf eine bizarre Idee verfallen: Sind wir nur künstliche Wesen in einer gigantischen Computersimulation? Durchaus möglich, glauben selbst renommierte Wissenschaftler.
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REUTERS
Filmszene aus "Matrix Reloaded":
Sind wir alle nur Teil einer
Computersimulation? |
An einen christlichen Gott mochte der "Vater des Urknalls" nie glauben. Doch Fred Hoyle, der den Begriff von der explosiven Geburt des Alls in die Welt gesetzt hat, hielt einen Zufall bei der Entstehung des Lebens für unmöglich. Wer die Fakten nüchtern betrachte, müsse feststellen: "Eine Super-Intelligenz hat Physik, Chemie und Biologie manipuliert", schrieb Hoyle 1954 im Fachblatt "Astrophysics Journal Supplement". Jemand habe die Gesetze der Kernphysik mit Absicht konstruiert, um bestimmte Vorgänge im Innern der Sterne herbeizuführen - insbesondere die Entstehung von Kohlenstoff, der das Leben in der uns bekannten Form erst ermöglicht. Mit dieser Meinung stand der vor drei Jahren verstorbene Hoyle keineswegs allein. Auch andere renommierte Kosmologen und Astrophysiker mögen angesichts der Tatsache, dass die Naturgesetze und -konstanten nahezu ideal auf die Entstehung von Leben ausgerichtet zu sein scheinen, nicht an einen Zufall glauben. Das Problem: Wie erklärt man das Phänomen, ohne einen Schöpfergott ins Weltbild einzubauen?
Viele Universen, viele Intelligenzler
Eine Möglichkeit ist die Multiversum-Theorie, 1957 aufgestellt vom US-Physiker Hugh Everett. Demnach ist unser All ist nur eines von unendlich vielen, unter denen sich zwangsläufig auch ein so wohnlicher Weltraum wie der unsere befindet. So weit, so elegant - hätte die Multiversum-Theorie nicht eine bizarre Folge, die von einer zunehmenden Zahl seriöser Philosophen, Mathematiker und Astrophysiker ernsthaft in Betracht gezogen wird: Die Menschen könnten keine Wesen aus Fleisch und Blut, sondern nur Figuren in einer gigantischen Simulation sein.
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AP
Britischer Astronom Hoyle:
"Eine Super-Intelligenz hat
Physik, Chemie und
Biologie manipuliert" |
Unter unendlich vielen Universen, so die Anhänger dieser Simulationstheorie, müsste es auch Welten geben, die von technisch hoch entwickelten Zivilisationen bevölkert sind. Und deren Computer verfügen über genügend Rechenpower, um ganze Universen inklusive intelligenter Bewohner zu simulieren. Der britische Mathematiker John Barrow etwa hält das bereits für ausgemacht: "Es ist längst anerkannt, dass technische Zivilisationen, die nur ein wenig weiter entwickelt sind als wir selbst, Universen simulieren könnten, in denen sich denkende Wesen entwickeln und miteinander kommunizieren", schrieb der Wissenschaftler der University of Cambridge in einem Essay.
Die Zahl der künstlichen Welten würde die der "realen" in einem solchen Szenario schnell übersteigen, glaubt Barrow. Paul Davies, Astrophysiker an der australischen Macquarie University, bestätigte das gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Wenn ein Universum erst einmal eine zu solchen Simulationen fähige Intelligenz beherbergt, wäre die Zahl der simulierten Wesen praktisch grenzenlos." Davies, der 2002 mit dem renommierten Faraday-Preis ausgezeichnet wurde, zieht eine radikale Schlussfolgerung: Es sei "sehr wahrscheinlich", dass auch wir nur simulierte Wesen sind.
Idee mit 2000 Jahre alten Wurzeln
Die Idee, die ganze Welt könne nur eine Illusion sein, ist keinesfalls neu. Schon vor über 2000 Jahren grübelte der chinesische Philosoph Zhuangzi darüber nach, ob das Leben nur ein Traum sein könne. René Descartes stellte im 17. Jahrhundert ähnliche Fragen, die in seinem berühmten Satz "Ich denke, also bin ich" gipfelten. Im vorigen Jahrhundert inspirierte der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russel zeitgenössische Science-Fiction-Autoren mit dem Gedanken, die Menschen könnten nur Gehirne in Einmachgläsern sein.
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AP
Astrophysiker Martin Rees:
Freund der Simulationsthese |
Dass solche Szenarien zutreffen könnten, glauben unterdessen immer mehr prominente Naturwissenschaftler. "Es gibt nichts in der Quantenmechanik oder in der Relativitätstheorie, das eine solche Matrix ausschließen würde", sagte etwa Michio Kaku, Mitentwickler der Stringtheorie und einer der weltweit bedeutendsten Physiker
Zu den Freunden der Simulationsthese gehört auch Martin Rees, der nicht nur Fred Hoyles Lehrstuhl an der University of Cambridge geerbt hat, sondern als königlicher Hofastronom auch einen Titel trägt, den schon Isaac Newton innehatte. In einem Multiversum, schrieb Rees im wissenschaftlich-philosophischen Internetforum Edge.org, müsse es Universen mit großem Potenzial für Komplexität geben. Da sei es nur eine "logische Konsequenz", dass in solchen Welten auch Teile von Universen simuliert werden können.
Der Mathematiker und Philosoph Nick Bostrom von der Oxford University hat dem Thema gleich eine ganze Internetseite gewidmet. Dass Menschen über sich selbst sinnieren können, liege nicht daran, dass das Gehirn eine feuchte graue Masse sei, argumentiert Bostrom. Notwendig sei vielmehr eine bestimmte Rechenstruktur - und die könne auch in einem Computer erzeugt werden. In seiner Simulationstheorie, erschienen im Fachblatt "Philosophical Quarterly", dampft Bostrom die Diskussion über das Computer-Universum auf drei Thesen ein. Zumindest eine von ihnen müsse als zutreffend akzeptiert werden:
- Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zivilisation eine höhere Entwicklungsstufe erreicht als die heutige Menschheit, geht gegen Null - weil sie sich vorher selbst auslöscht;
- fast keine hoch entwickelte Zivilisation ist daran interessiert, Wesen wie den Menschen im Computer zu simulieren;
- oder wir leben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer Simulation.
Sollten die ersten beiden Annahmen falsch sein, so Bostrom, würde ein "bedeutsamer Teil" aller intelligenten Spezies höher hinaus kommen als die Menschheit und zumindest einen Teil ihrer Computerpower dazu benutzen, Wesen wie uns zu simulieren. Bostroms Schlussfolgerung: "Sollten Punkt eins und zwei nicht zutreffen, gäbe es eine astronomisch hohe Zahl von simulierten Wesen, die wie wir sind."
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ESA
13 Milliarden Jahre alte Galaxien,
fotografiert vom Weltraumteleskop
Hubble: Alles nur simuliert? |
Das alles bedeute natürlich nicht zwangsläufig, dass die Menschen tatsächlich nur aus Nullen und Einsen bestehen. "Meine These soll nicht beweisen, dass wir in einer Simulation leben", betonte Bostrom gegenüber SPIEGEL ONLINE. Allerdings gebe es eine "bedeutende Wahrscheinlichkeit", dass die Menschheit tatsächlich nichts weiter sei als eine Figurensammlung in einer Computersimulation. "Ich schätze, dass sie bei etwa 20 Prozent liegt."
Möglicherweise könne die Menschheit selbst die Frage beantworten. Sollten die Erdlinge eines Tages in der Lage sein, ihrerseits Universen zu simulieren, wäre das laut Bostrom "ein starkes Indiz" dafür, dass wir alle nur im Computer existieren.
Bis simulierte Universen irdische Realität sind, wird die Suche nach Beweisen für die reale Existenz einer Art "Matrix" ziemlich knifflig. "Ich glaube nicht, dass es direkte Beweise geben wird", meint Bostrom. Cambridge-Mathematiker Barrow ist da optimistischer. Die Programmierer etwa wären bei aller Cleverness nicht allwissend oder unfehlbar. "Wenn in einem Disney-Film die Oberfläche eines Sees das Licht reflektiert, werden nicht die Gesetze der Quanten-Elektrodynamik und der Optik benutzt, um die Lichtstreuung zu berechnen", meint Barrow. "Das würde eine wahnwitzige Rechenkraft verschlingen."
Haben die Programmierer geschlampt?
Stattdessen werde "plausibel über den Daumen gepeilt", so dass am Ende immer noch ein realistisch aussehendes Ergebnis herauskomme - so lange niemand zu genau hinschaue. Die Komplexität der Simulation wäre dann allerdings beschränkt, was Raum für verräterische Probleme schaffe, mutmaßt Barrow. So könnten sich nach und nach kleine Fehler summieren.
Das Resultat wäre ein Crash, der selbst die Programmierer von Microsoft erblassen ließe: Nicht ein einzelner PC, auch nicht ein Firmennetzwerk, nein, das ganze Universum würde abstürzen. Unter anderem deshalb kann Simon White, Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, der Simulationsthese nichts abgewinnen: "Warum soll es nur kleine Fehler und keine Katastrophe geben?", fragte sich der Forscher im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
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Philosoph Bostrom:
"Astronomisch hohe Zahl
von simulierten Wesen" |
Weil die Programmierer hier und da kleine Korrekturen vornehmen, glaubt Barrow - oder eine automatische Selbstreparatur-Funktion eingebaut haben, wie sie auch im menschlichen Erbgut existiere. "Das würde zu mysteriösen Veränderungen führen, die anscheinend die Gesetze der Physik verletzen", schreibt Barrow - wie etwa kleine Verschiebungen in den Naturkonstanten. Der australische Astrophysiker Paul Davies glaubt, dass ein solcher "Schluckauf" in der kosmischen Simulation möglicherweise schon gefunden wurde.
Schöner leben in der "Matrix"
Ein Team um John Webb von der australischen University of New South Wales hat drei Jahre lang weit entfernte Quasare mit dem Keck-Teleskop auf Hawaii beobachtet. Das überraschende Ergebnis: Die Feinstruktur-Konstante, eine fundamentale Größe in der Physik, verändert sich offenbar mit der Zeit. Eine mögliche Erklärung, meinen sowohl Webb als auch Davies, wäre eine langsame Veränderung der Lichtgeschwindigkeit - was nach Einsteins Relativitätstheorie aber unmöglich ist.
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Astrophysiker Davies:
"Es ist sehr wahrscheinlich,
dass wir in einer
Simulation leben" |
Das aber muss noch gar nichts bedeuten, wendet der amerikanische Computerforscher Ray Kurzweil ein. "Wenn wir eine offensichtliche Abweichung wie die Veränderung der Lichtgeschwindigkeit finden, können wir nicht herausfinden, ob es sich um einen Simulationsfehler handelt",
sagt Kurzweil im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Wahrscheinlicher sei, dass es sich um eine experimentelle Entdeckung handelt, die schließlich ein besseres Modell der Physik nach sich zieht. So hätten etwa Abweichungen von den Newtonschen Gesetzen zu Einsteins Relativitätstheorie geführt.
Vielleicht sollten sich die Menschen auch gar nicht so viele Gedanken darüber machen, ob sie nun in einer Simulation leben oder nicht. Der US-Philosoph Hubert Dreyfus etwa sagte über den Actionfilm "The Matrix", dass es die Menschen in der Kino-Trilogie nicht schlecht hätten und so versklavt gar nicht seien. "Sie können leben, sterben, lieben, arbeiten, treffen Entscheidungen und tun alles, was sie wollen", sagte Dreyfus. Nur aus der Simulation fliehen könnten sie nicht - aber warum sollten sie auch? Nur, weil sie auf einer anderen Daseinsebene als Batterien benutzt werden? "Sie müssen sich nicht daran stören, weil sie es nicht einmal wissen", meint Dreyfus.
Nach der Simulation ist vor der Simulation
Robin Hanson, Wirtschaftsprofessor an der George Mason University im US-Staat Virginia, postulierte im "Journal of Evolution and Technology" gar Regeln, um den Schöpfern der Simulation zu gefallen. Sein erlösendes Rezept: Weniger auf andere achten, mehr für das Jetzt leben, sich stärker an wichtigen Entwicklungen beteiligen, unterhaltsamer sein - und die vielen berühmten Menschen um einen herum glücklich machen. Wer gut genug ist, glaubt Hanson, werde nach dem Ende seiner Computerexistenz vielleicht nicht gelöscht, sondern in eine andere Simulation oder gar in die reale Welt der Programmierer kopiert.
Astrophysiker Davies glaubt, solche Ratschläge solle sich die Menschheit zu Herzen nehmen. Denn zu viel des Nachbohrens führe womöglich zu einem bösen Ende. "Jetzt, da die Programmierer wissen, dass wir ihnen auf der Spur sind, ist das Spiel aus", argwöhnt der Forscher. "Sie könnten ihr Interesse verlieren und die 'Delete'-Taste drücken."
Quelle:
http://www.spiegel.de