Donnerstag, 8. März 2012
Target 2 als »Dispo« der Pleitestaaten 500-Milliarden-Risiko für Deutschland
Die Deutsche Bundesbank schlägt Alarm – die »Target 2«-Salden explodieren. Für Deutschland steht mehr als eine halbe Billion Euro auf dem Spiel. Was verbirgt sich hinter »Target 2« und weshalb ist diese Entwicklung so explosiv? Antworten gibt der folgende Beitrag.
Notenbanker sind normalerweise sehr diskrete Zeitgenossen, die ihre Worte wägen und beinahe bei jedem Wimpernschlag sehr genau hinschauen, wie die nervösen Märkte reagieren. Zur Diskretion gehört es auch, manche Dinge nicht an die große Glocke zu hängen. Vor gut zwei Jahren dürfte der Ausdruck »Target 2« selbst vielen Bankern und Finanzjournalisten nicht geläufig gewesen sein. Im Sommer 2010 grübelte dann aber Helmut Schlesinger, der frühere Präsident der Deutschen Bundesbank, über der Bilanz seines einstigen Arbeitgebers. Er stieß auf Forderungen der Bundesbank im dreistelligen Milliardenbereich gegenüber dem System der europäischen Notenbanken, in dessen Mittelpunkt die Europäische Zentralbank (EZB) steht. Schlesinger konnte sich diese Position zunächst ebenso wenig erklären wie der Ökonom und Chef des Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn, den der frühere Bundesbankchef auf seine merkwürdige Entdeckung ansprach.
Auf dem Kongress des KOPP-Verlags Anfang Februar bei Stuttgart empfahl der Währungsexperte und frühere Präsident der Hessischen Landesbank, Professor Dr. Wilhelm Hankel, den Teilnehmern, einen Blick in die Bilanzen der Bundesbank zu werfen und dort die Position »Target 2« unter die Lupe zu nehmen. Wer dem Rat folgte, stellte Erstaunliches fest. Diese kryptisch anmutende Position wächst in einem atemberaubenden Tempo. Allein im vergangenen Februar erhöhten sich die Forderungen der Bundesbank aus »Target 2« gegenüber dem Vormonat um über 48,9 Milliarden Euro oder 9,8 Prozent. Wohlgemerkt – innerhalb eines Monats. Gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres explodierte der Saldo geradezu um 70,6 Prozent oder 226,35 Milliarden Euro. Insgesamt beläuft er sich aktuell auf über 547 Milliarden Euro. Vor anderthalb Jahren sprach die Bundesbank noch von »irrelevanten Salden«, die nur von statistischer Bedeutung seien. Davon kann angesichts der nun erreichten Größenordnung wohl keine Rede mehr sein. Entsprechend nervös reagieren denn auch die Bundesbanker.
Nun ist es eigentlich ein eher erfreulicher Zustand, Forderungen gegenüber Dritten zu haben. Geld zu verleihen gehört zum Kerngeschäft jeder Bank. Vorausgesetzt, es handelt sich um Forderungen von hoher Werthaltigkeit. Denn geht der Schuldner pleite, hat ab einer bestimmten Höhe der Außenstände auch der Gläubiger ein Problem. Und das träfe im Fall von Deutschland zweifellos zu. »Über das ›Target 2‹-System könnte die Bundesrepublik im schlimmsten Fall mehr als eine halbe Billion Euro verlieren«, warnt Hans-Werner Sinn.
Denn den Forderungen der Bundesbank an die EZB stehen Verbindlichkeiten südeuropäischer Pleitestaaten gegenüber. Vereinfacht dargestellt haben die Notenbanken in den insolvenzbedrohten Staaten die »Target 2«-Plattform als eine Art Girokonto angesehen und in gigantischem Umfang »Dispo«-Kredite in Anspruch genommen, um die Banken ihrer Länder vor dem Zusammenbruch zu retten.
Eigentlich ist »Target 2« ein nützliches Clearinginstrument, über das die Notenbanken der Euro-Zone ihre Zahlungen untereinander abwickeln. Bis zum Jahr 2007 waren die Salden dieses Systems weitgehend ausgeglichen. Seit dem Ausbruch der Euro- und Schuldenkrise entstanden aber besorgniserregende Ungleichgewichte. Die Verpflichtungen südeuropäischer Staaten gegenüber »Target 2« und damit der EZB explodierten, gleichzeitig schossen die Forderungen Deutschlands, Finnlands, der Niederlande und Luxemburgs in die Höhe.
Bis vor kurzem erklärte die Deutsche Bundesbank die weit auseinander klaffenden Target-Salden mit Störungen am Interbankenmarkt, sprich: Vor allem die südeuropäischen Geschäftsbanken trauen sich nicht mehr über den Weg und leihen sich erst recht untereinander kein Geld mehr, weil niemand weiß, ob das andere Kreditinstitut nicht in naher Zukunft in die Pleite steuert.
Nun aber scheint die unglaubliche Dynamik dieser Entwicklung auch die Bundesbank veranlasst zu haben, den bisherigen Kurs des Beschwichtigens und Relativierens zu verlassen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnte dieser Tage in einem Brief an den EZB-Chef Mario Draghi (wegen seiner Eine-Billion-Flutung der Märkte mittlerweile »Bazooka-Mario« genannt) vor den Gefahren aus »Target 2«. Damit sorgte er für helle Aufregung in der EZB, deren Repräsentanten von einem »verheerenden Signal« sprechen.
Dass sich der Präsident der Deutschen Bundesbank sorgt, ist nur allzu verständlich. Denn es steht einiges auf dem Spiel. Tritt Griechenland aus der Euro-Zone aus, was inzwischen ausgemachte Sache zu sein scheint, verliert Deutschland zumindest die auf dieses Land entfallenden »Target 2«-Forderungen. Bricht die Euro-Zone gar komplett auseinander, wären die von Hans-Werner Sinn genannten 500 Milliarden Euro abzuschreiben.
Um genau diesen Super-GAU zu verhindern, werden immer neue milliardenschwere Rettungsschirme aufgespannt und Rettungspakete geschnürt. An den Erfolg glaubt die Bundesbank ganz offenkundig nicht mehr. Daher der Brief Weidmanns an den EZB-Präsidenten. Während die Mainstreammedien und die Claqueure der Finanzwirtschaft Mario Draghi als entschlossenen »Super-Mario« feiern und Angela Merkel lieber heute als morgen zur neuen europäischen Kaiserin krönen würden, laufen hinter den Kulissen schon die Vorbereitungen für das Euro-Finale. Retten, was noch zu retten ist – das scheint auch die Devise der Bundesbank zu sein.
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