Donnerstag, 17. Juli 2014

Gewaltiges Loch am "Ende der Welt" stellt Forscher vor ein Rätsel

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Im äußersten Norden Sibiriens wurde ein rund 60 Meter großer Krater entdeckt. Experten spekulieren über seine Ursachen

Auf der entlegenen Halbinsel Jamal im Norden Sibiriens wurde ein riesiges Loch im Erdboden entdeckt, über dessen Ursache Experten bislang nur spekulieren können. Der eindrucksvolle Krater mit einem zunächst geschätzten Durchmesser von über 80 Metern liegt nach einem Bericht der "Siberian Times" in einer menschenleeren waldreichen Gegend rund 30 Kilometer entfernt von Bowanenkowo, dem größten Erdgasfeld der Region.
Wie tief der Schlund ist, ließ sich auch nach einem Hubschrauberflug nicht abschätzen, den Mitarbeiter des vom russischen Verteidigungsministerium betriebenen Fernsehsenders Zvezda TV kürzlich durchgeführt haben. Immerhin zeigen die unscharfen Bilder, dass es sich offenbar nicht um eine Falschmeldung handelt, wie zuvor behauptet wurde. Eine unabhängige Bestätigung für die Bilder lag zunächst nicht vor. Mittlerweile aber ist ein Team von Wissenschaftern am Ort des Geschehens eingetroffen, um das Phänomen genauer unter die Lupe zu nehmen.
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Video: Der Helikopterflug, organisiert vom Fernsehsender Zvezda TV, lieferte die ersten Bilder von dem tiefen schwarzen Loch am "Ende der Welt".
Was zur Entstehung des riesigen, finsteren Kraters auf der Jamal-Halbinsel - der Name bedeutet übersetzt "Ende der Welt" - geführt hat, dazu kursieren bereits zahlreiche Theorien. Einige halten den Einschlag eines Meteoriten für die Ursache. Doch Experten winken bereits ab. Vertreter der lokalen Behörden schlossen einen Impakt nach einer ersten Einschätzung der Lage aus.

Meteoriteneinschlag unwahrscheinlich

Ähnlich sieht dies auch Christian Köberl, Generaldirektor des Naturhistorischen Museums Wien und Experte für Meteoriten-Forschung: Die wenig detailreichen Bilder, die bislang existieren, lassen einen Einschlag aus dem All aus heutiger Sicht nicht plausibel erscheinen, erklärte er gegenüber dem STANDARD. Insbesondere das Verhältnis zwischen Durchmesser und mutmaßlicher Tiefe des Kraters würde auf eine andere Ursache hindeuten.
Möglicherweise steht der schwarze Abgrund, der bereits vor zwei Jahren entstanden sein dürfte, mit der globalen Erwärmung in Zusammenhang. Die Arktis-Forscherin Anna Kurschatowa von der russischen Tyumen State Oil and Gas University hält es für möglich, dass es infolge klimawandelbedingter Tauprozesse im Permafrostboden tiefer im Untergrund zu einer Vermischung von Salz, Eis, Wasser und Erdgas kam, die schließlich explodierte und dabei den Krater hinterließ.

Abgeschmolzener Pingo?

Auch der australische Polarforscher Chris Fogwill von der University of New South Wales wagte eine Ferndiagnose: Er glaubt, dass es sich bei dem Krater um ein Phänomen namens "Pingo" handelt. Das sind größere unterirdische Eisstrukturen, die an die Erdoberfläche für frei stehende Bodenerhebungen sorgen. Schmelzen die Eisblöcke schließlich ab, hinterlassen sie Löcher, die dem Jamal-Krater gleichen.
Fest steht, dass das Loch von einem erhöhten Kraterrand umgeben ist, der im Inneren einige dunkle Stellen aufweist, was Fachleute für einen Hinweis auf nicht näher bezeichnete Prozesse halten, die in Zusammenhang mit höheren Temperaturen beziehungsweise Feuereinwirkung stehen könnten. Doch auch das bleibt reine Spekulation, bis das angeforderte Wissenschafterteam den Krater näher untersucht hat. Die nun veröffentlichten neuen Bilder erhärten jedenfalls den Verdacht, dass die Formation mit dem Aufschmelzen des Permafrostbodens zu tun haben könnte.

Erste Erkenntnisse

Bei dieser Erstbegehung wurde laut Berichten der "Siberian Times" nach genauer Vermessung die Größe des Lochs korrigiert: Im Inneren ist das Loch rund 30 Meter breit, mit dem Auswurf an der Erdoberfläche hat es einen Durchmesser von rund 60 Metern. Aus den glatten senkrechten Wänden fließt Wasser aus dem Permafrostboden in einen See mit Eiswasser, der sich am Boden des Lochs befindet.
Die Forscher vor Ort, die auch erste Fotos vom Inneren veröffentlicht haben, gehen mittlerweile davon aus, dass es keine "heiße" Explosion war, die zur Entstehung des mysteriösen Lochs geführt hat, eher eine Art von "Auswurf", wie Andrei Plekhanov vom staatlichen Forschungszentrum für Arktisstudien sagt. Nun wolle man klären, wann das Loch entstanden ist und ob seine Entstehung tatsächlich im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung steht. (tberg, derStandard.at, 17./18.7.2014)
  • Wie tief der Krater auf der fast menschenleeren Jamal-Halbinsel am nördlichen Rand Sibiriens ist, lässt sich noch nicht abschätzen.vergrößern (800x492)
    screenshot: zvezda tv/youtube
    Wie tief der Krater auf der fast menschenleeren Jamal-Halbinsel am nördlichen Rand Sibiriens ist, lässt sich noch nicht abschätzen.
  • Auch die mittlerweile zusätzlich veröffentlichten Bilder, die den Krater aus der Nähe zeigen, geben keine Aufschlüsse über seine Tiefe.vergrößern (800x553)
    foto: ap photo/associated press television
    Auch die mittlerweile zusätzlich veröffentlichten Bilder, die den Krater aus der Nähe zeigen, geben keine Aufschlüsse über seine Tiefe.
  • Andrei Plekhanow vom Forschungszentrum für Arktisstudien und seine Kollegen werden das Phänomen in den kommenden Tagen genau untersuchen.vergrößern (800x602)
    foto: ap photo/associated press television
    Andrei Plekhanow vom Forschungszentrum für Arktisstudien und seine Kollegen werden das Phänomen in den kommenden Tagen genau untersuchen.
  • Eine erste Inaugenscheinnahme lieferte keine Hinweise auf einen Meteoriteneinschlag.vergrößern (800x603)
    foto: ap photo/associated press television
    Eine erste Inaugenscheinnahme lieferte keine Hinweise auf einen Meteoriteneinschlag.

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