Offener Brief
an die Abgeordneten des Europäischen Parlamentsan den Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz
an den Kommissar für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung
an den Kommissar für Umwelt
an den Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration
an den Kommissar für Industrie und Unternehmertum
an den Kommissar für Entwicklung
an den Kommissar für Regionalpolitik
Revision des Europäischen Saatgutverkehrsrechts
Sehr geehrte Damen und Herren,
Mit diesem Schreiben treten wir an Sie
heran, sich im Rahmen der Überarbeitung der Europäischen
Saatgutverkehrsrichtlinien für Verbesserungen in Hinblick auf die
Umweltfreundlichkeit, die Wünsche der Europäischen VerbraucherInnen und
die Bedürfnisse kleiner und lokaler Akteure im Saatgutsektor
einzusetzen.
Eine Neuausrichtung des Europäischen Saatgutverkehrsrechts ist dringend erforderlich. Denn die derzeit geltenden Regelungen haben zu einem massiven Verlust an landwirtschaftlicher Vielfalt in den letzten Jahrzehnten geführt. Spezifische Anforderungen landwirtschaftlicher Betriebe, die über die Produktivität von Sorten hinaus gehen, wurden kaum berücksichtigt, und die Sortenvielfalt für den Lebensmittelbereich wurde trotz Nachfrage durch die KonsumentInnen stark eingeschränkt.
Die Saatgutrechtsrevision muss Freiräume schaffen für die Erhaltung und Nutzung der Sortenvielfalt on farm. Damit
wird auch das Spektrum der verfügbaren Nahrungs- und Futterpflanzen
vergrößert und ein positiver Beitrag für die Lebensmittelqualität
geleistet – mehr Vielfalt, Farben und Geschmäcker.
Wie im “Options and Analysis”-Papier der
Europäischen Kommission angeführt, besteht eine wachsende Nachfrage
nach mehr Sortenvielfalt: "Protection of the environment has become
more important and specific markets, such as for organic crops, are
increasing their share of the market”. ["Der Schutz der Umwelt
wird immer wichtiger und spezifische Märkte, wie jener für biologische
Produkte, sind im Wachstum begriffen"; Übersetzung der Verfasser] (1)
Allerdings kontrollieren heute rund zehn
multinationale Konzerne bereits 74% des globalen Saatgutmarktes(2), und
die Konzentrationsprozesse schreiten weiter voran. Die Saatgutindustrie
bringt meist Sorten mit hoher genetischer Uniformität auf den Markt und
nicht nachbaufähiges Saatgut dominiert bei vielen landwirtschaftlichen
Kulturen. All dies führt nicht nur zu alarmierenden Abhängigkeiten
seitens der SaatgutanwenderInnen und VerbraucherInnen, sondern ist auch
ökologisch riskant, da eine schmale genetische Basis leichter zu
Krankheits- und Schädlingskalamitäten führen kann.
Das neue Europäische
Saatgutverkehrsrechts muß seine restriktiven Bestimmungen für den
Marktzugang von Sorten und Saatgut lockern, um eine größere Anzahl von
Saatgutanbietern zu ermöglichen und die Zahl mittelständischer
Saatgutunternehmen zu stabilisieren. Dies würde indirekt auch positive
Effekte für Biodiversität und Ländliche Entwicklung erwarten lassen.
Als Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten
wir Akteure aus den Bereichen Umwelt und Biodiversität ebenso wie aus
dem Saatgutsektor, mittelständische und biologische
Züchtungsunternehmen, Saatgutanbieter, landwirtschaftliche und
gärtnerische Betriebe wie auch private SaatgutanwenderInnen und
SortenerhalterInnen, Konsumenteninitiativen und KonsumentInnen.
Wir rufen Sie dazu auf, sich für eine Neuausrichtung des Europäischen Saatgutverkehrsrechts einzusetzen, unter Berücksichtigung von Umweltfragen und KonsumentInnenbedürfnissen.
Diese
muss auch die Vermarktung von weniger homogenen, jedoch genetisch
breiteren und besser an lokale Bedingungen angepasste Sorten
ermöglichen. Hindernisse für die Vermarktung und den Austausch von
Saatgut alter und seltener Sorten und bäuerlicher Züchtungen müssen
beseitigt werden, als Beitrag zur landwirtschaftlichen Biodiversität in
Europa, zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft und zu einer besseren
Berücksichtigung der Wünsche europäischer VerbraucherInnen.
Der Schutz der VerbraucherInnen und die
Sicherstellung der Pflanzengesundheit sollten durch klare
Transparenzregeln und Kennzeichnungsvorgaben gewährleistet werden.
Darüber hinausgehende, der Vermarktung vorgelagerte Kontrollen hingegen
führen nicht nur zu den beschriebenen negative Effekten auf die
Biodiversität, sondern auch zu Überschneidungen mit dem Lebensmittel-
und Pflanzenschutzrecht.
Aus allen genannten Gründen muss die
Überarbeitung des Europäischen Saatgutverkehrsrechts eine bessere
Ausgewogenheit und die Berücksichtigung von Umwelt und
VerbraucherInnen-Interessen sicherstellen, Freiräume für Nutzung,
Austausch und Verkauf von Saatgut alter, seltener und bäuerlicher
Züchtungen schaffen und die Diversifizierung der Landwirtschaft fördern.
Gerne stellen wir Ihnen konkrete Vorschläge zu Verfügung, wie diese
Ziele erreicht werden können, und würden uns freuen, diese Ideen mit
Ihnen in den kommenden Wochen und Monaten zu diskutieren.
(1) European Commission:
Options and analysis of possible scenarios for the review of the
European Union legislation on the marketing of seed and plant
propagating material" - Point 2.2: Room to strengthen sustainability
issues.
(2) ETC Group Report “Who will control the Green Economy”, 15 December 2011
Mit freundlichen Grüßen,
- Arche Noah
- APRODEV
- ARC2020
- Birdlife Europe
- EEB European Environmental Bureau
- Euro Coop
- European Coordination Via Campesina
- European Professional Beekeepers Association
- Friends of the Earth Europe
- Grain
- IFOAM International Federation for Organic Agriculture Movements EU Group
- Save Our Seeds
- Slow Food Foundation for Biodiversity
- Sowing the Future
Der offene Brief wurde erstmals im Mai 2012 übermittelt. Seitdem kommen täglich mehr Unterschriften hinzu.
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