Michael Brückner
Bei Anruf Cash: Staaten und Banken haben einen bequemen Weg gefunden, um an europäische Hilfsmittel in Milliardenhöhe zu kommen. Sie statteten den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) einfach mit einer Art Einzugsermächtigung aus. Zahlmeister sind vor allem die Deutschen. Griechische Sparer dürfen sich hingegen über hohe Zinsen freuen.
Sparer in Deutschland und Österreich müssen sich auf eine lange Durststrecke einstellen. Schonheute werden sie für Tages- und Termingeld mit Magerzinsen abgespeist. Nach Abzug von Inflation und Steuern fahren die meisten Bankkunden unter dem Strich sogar Vermögensverluste ein. Da weitere Leitzinssenkungen absehbar sind, dürften die Renditen bald noch geringer ausfallen. Nach Recherchen des Verbraucherportals Biallo.de zahlen Banken und Sparkassen in Deutschland für einjähriges Festgeld bei Einlagen von mindestens 50.000 Euro derzeit gerade zwischen 0,7 und 2,75 Prozent Zinsen pro Jahr.
Im Vergleich dazu nehmen sich die Offerten griechischer Banken fast schon paradiesisch aus. Die Emporiki-Bank, das viertgrößte Geldinstitut des Landes, bietet für Festgeldanlagen über eine Laufzeit von zwölf Monaten bis zu 4,75 Prozent Zinsen. Wer sein Geld nur drei Monate festlegt, darf sich über eine Rendite zwischen 4,8 und 5,2 Prozent p.a. freuen. Die Hellenic Postbank zahlt für sechsmonatige Einlagen vier Prozent Zinsen.
Bisher ging ein hohes Risiko ein, wer seine Ersparnisse einer griechischen Bank anvertraute. Kein Wunder, dass wohlhabende Griechen ihr Geld nach Deutschland und in die Schweiz transferierten oder gleich in Immobilien investierten. Durch die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels hat sich freilich die Geschäftsgrundlage geändert. Die Regierungschefs verständigten sich in Brüssel darauf, dass künftig marode Banken direkte Hilfen aus dem so genannten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beantragen können. Darüber hinaus dürfte es nicht mehr lange dauern, bis im Zuge der Bankenunion auch eine einheitliche europäische Einlagensicherung in Kraft tritt. Das bedeutet, dass deutsche Banken mit im Boot sind, wenn es gilt, griechische oder spanische Sparer zu entschädigen, falls deren Geldinstitute in eine Schieflage geraten. Letztlich zahlt aber der deutsche Sparer die Zeche, denn die Banken werden höhere Risiken infolge der europäischen Einlagensicherung entsprechend bei ihren Konditionen berücksichtigen. Im Klartext: noch geringere Guthabenzinsen.
Die unglaublichen Beschlüsse des EU-Gipfels Ende Juni werden aber nicht nur die deutschen Sparer, sondern alle Steuerzahler noch teuer zu stehen kommen. Es wäre angesichts der in den vergangenen Monaten gesammelten Erfahrungen aber naiv, darauf zu hoffen, das Bundesverfassungsgericht könnte den ESM-Wahnsinn stoppen. Möglicherweise kommt es einmal mehr zu einigen gesichtswahrenden Ermahnungen und Präzisierungen, doch der Zug in Richtung Schulden- und Haftungsunion ist längst abgefahren. Deutschland ist als stärkste Volkswirtschaft der größte Zahlmeister, hat aber bei der Vergabe von milliardenschweren Hilfen kaum noch etwas zu sagen.
Künftig entscheidet der europäische Ministerrat, welche Reformen ein Pleitestaat erfüllen muss, um Kredite aus dem ESM zu bekommen. Hierzu genügt eine qualifizierte Mehrheit. Wenn Deutschland sich weigern sollte, wird es einfach überstimmt. Gleichzeitig sinkt die Hemmschwelle zur
Inanspruchnahme
der ESM-Mittel, da die Staaten künftig keine Auflagen mehr erfüllen
müssen, um an Kredite zu kommen. Auch die Kontrollen durch die so
genannte Troika, bestehend aus Vertretern der EU, der Europäischen
Zentralbank (EZB) und des IWF, werden überflüssig.Ab dem Jahr 2013 darf der ESM Banken direkt rekapitalisieren, ohne den Umweg über den jeweiligen Staat nehmen zu müssen. Die an die Banken gezahlten Hilfskredite werden dann nicht mehr in der Schuldenstatistik der betroffenen Länder auftauchen. Wie ein Placebo mutet da die Entscheidung an, die europäischen Banken künftig im Auftrag des ESM von der EZB kontrollieren zu lassen. Ausgerechnet von der EZB, in der längst die Vertreter der Problemstaaten die Richtung vorgeben. Obendrein hat Großbritannien bereits angekündigt, an einer Überwachung durch die EZB nicht teilzunehmen. Dadurch bleibt mit London der stärkste Banken- und Finanzplatz in der EU außen vor.
Schließlich dürfen sich auch jene Länder freuen, die bereits unter den bisherigen Rettungsschirm geschlüpft sind. Vor allem Irland wird auf eine Sonderbehandlung drängen, denn es waren die maroden Banken, die diesen Staat in die Schuldenfalle führten. Nun könnte Irland eine Umschuldung zugestanden werden. Auch eine Übernahme der Verpflichtungen des Landes gegenüber seinen Banken durch den ESM scheint denkbar.
Zu allem Überfluss droht auch noch Ungemach aus Frankreich. Die Staatsverschuldung des Nachbarlandes läuft vollends aus dem Ruder. Schon fordert der Rechnungshof für dieses und das nächste Jahr insgesamt zusätzliche Einsparungen von bis zu 43 Milliarden Euro. Selbst Optimisten glauben daher nicht daran, dass sich die maximale Haftungssumme Deutschlands aus den beiden Rettungsschirmen ESM und EFSF auf 310 Milliarden Euro begrenzen lässt. Am Ende dürfte die Haftungssumme deutlich höher ausfallen. Schon gerät Deutschland ins Visier der Ratingagenturen. Kein Wunder also, dass inzwischen ESM schon mit »Europas Sichere Melkkühe« übersetzt wird – überflüssig zu sagen, wer gemeint ist.
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