Mittwoch, 6. Juni 2012

Deutsche Krippenlüge: Frankreich hat viel weniger Kitas!

Für deutsche Demographieexperten und Politiker sind Länder wie Frankreich gemeinhin der Himmel. Eine Geburtenrate bei annähernd zwei Prozent, davon kann man hier nur träumen, wo frau bei uns doch in der Regel nur knapp 1,4 Kinder zur Welt bringt. Deswegen wird uns immer gerne das französische Modell der groß ausgebauten Krippenbetreuung in Frankreich unter die Nase gerieben, als Vision und Vorbild. Doch es stellt sich heraus: Diese Behauptungen sind eine Lüge. Das ergeben Zahlen der französischen Botschaft.



Frankreich hat ja sooo viele Krippen, heißt es. Fast alle unter Dreijährigen werden dort fremdbetreut. Behaupten unsere Politiker. Deswegen wird bei uns jetzt die Krippenbetreuung für unter Dreijährige für 35 Prozent aller Kinder in dem Alter vorangetrieben, damit wir endlich auch die traumhaften Geburtenraten von Frankreich erreichen.
Gut, eigentlich würde auch schon ein Blick in die einzelnen deutschen Bundesländer reichen, um festzustellen, dass der Rückschluss »mehr Kitaplätze gleich höhere Geburtenraten« nicht funktioniert. Denn in den neuen Bundesländern war das Betreuungsangebot durch die Übernahme der Kindergärten aus DDR-Zeiten schon immer deutlich höher als in den alten Bundesländern. Dennoch sind dort die Geburtenraten leider noch viel niedriger als der bundesdeutsche Durchschnitt. Im Gegenzug haben die Länder mit dem geringsten Angebot an U3-Betreuung die höchsten Geburtenraten.


Was die meisten allerdings nicht wissen: Erstens: Frankreich tut weit mehr für die Familien als nur Krippenplätze zu bauen, und zweitens: In Frankreich werden keineswegs die Kinder unter drei Jahren größtenteils in Krippen betreut – stattdessen ist der Anteil der Krippenkinder in dem Alter mit gerade mal gut 13 Prozent sogar sehr gering. Also, wenn bei uns von der Politik gefordert wird, sich ein Beispiel an Frankreich zu nehmen: ja gerne, aber bitte nicht selektiv nur die politisch gewollten Rosinen herauspicken.

Die französische Botschaft in Deutschland hat anhand von Zahlen aus dem Jahr 2006 vorgerechnet, wie die Betreuung in Frankreich verteilt wird. Schon damals lag die Geburtenrate der Französinnen bei knapp zwei Prozent. Zu dem Zeitpunkt gab es in Frankreich 4,8 Millionen Kinder unter sechs Jahren, davon waren 2,3 Millionen Kinder unter drei Jahren. Für diese Kinder standen ein Drittel der Betreuungsplätze in Kindertagesstätten, Kindergärten und Mehrfachbetreuungseinrichtungen zur Verfügung, in Zahlen ausgedrückt: 317.000 Plätze. Nach Adam Riese haben also nur 13,2 Prozent der Null- bis Zweijährigen in Frankreich eine öffentliche Einrichtung besucht – es kann also nicht allein an der massiven staatlichen Fremdbetreuung liegen, dass die Geburtenrate in Frankreich hoch ist.

Die französische Botschaft gibt auch dazu Auskunft, denn man hat dort sehr viel umfassendere Instrumente als in Deutschland, um gerade Familien auch mit mehreren Kindern zu unterstützen. So kümmert sich die Politik in Frankreich explizit um die Unterstützung von Kleinkindern, auf diesen Sektor entfallen Ausgaben von über 10,2 Milliarden und somit ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Frankreich. Darin enthalten ist zum Beispiel eine Finanzierung der Sozialversicherung für Familien, die auf dem Grundsatz der »freien Wahl der Familien« hinsichtlich Berufs- und Familienleben basiere, so die Auskunft der französischen Botschaft. Zusätzlich fördert Frankreich durch zwei weitere Komponenten junge Familien: Tagesmütter werden massiv subventioniert, die das Kind entweder bei sich zu Hause oder gar im Haushalt der Eltern betreuen, außerdem gewährt der Staat Eltern eine massive Steuerfreiheit je nach Kinderzahl, die dazu führt, dass Familien spätestens ab dem dritten Kind quasi steuerfrei leben – bei uns in Deutschland ist das der Zeitpunkt, an dem Familien anfangen, in die Armutsfalle zu rutschen.

Doch auch weitere monetäre Instrumente der Familienförderung hat man in Frankreich auf dem Plan: Direkthilfen wie etwa eine Geburtszulage, eine Basisunterstützung, Zusatzhilfe für die freie Wahl der Betreuungsform, Zusatzhilfe für die freie Wahl der Erwerbstätigkeit. Dazu gibt es auch Sachleistungen wie zum Beispiel die Organisation von alternativen Betreuungsdiensten, die in Frankreich dann auch bezahlbar sind, weil der Staat sie mit fördert und nicht nur die Krippen.
Wenn Ihnen also mal wieder Frankreich als glühendes Beispiel unter die Nase gerieben wird, rufen sie laut: ja bitte! Aber dann das ganze Paket, mit Steuerfreiheit durch Familiensplittung, mit Förderung von Tagesmüttern, mit Förderung von Familien zu Hause und nicht nur mit dem Ausbau von Krippenplätzen.

Übrigens: Auch Skandinavien wird uns immer gerne als leuchtendes Beispiel serviert, aber auch in Bezug auf die nordischen Länder existiert in Deutschland offenbar eine Art selektive Wahrnehmung, wie in der aktuellen Betreuungsgelddebatte erkennbar ist. Denn in fast allen skandinavischen Ländern existiert bereits seit Jahren ein Betreuungsgeld als alternative Komponente zum Kitaausbau. Teilweise ist es sogar direkt gekoppelt an die Stundenzahl, die ein Kind zu Hause beziehungsweise in der Kita verbringt. Das heißt: Nehmen die Eltern keinen Kitaplatz, bekommen sie das volle Betreuungsgeld, das je nach Land und Region zwischen 250 und über 600 Euro monatlich schwankt. Nehmen die Eltern nur ein paar Stunden Betreuung in der Kita, bekommen sie den Rest des Geldes ausgezahlt, und nehmen sie den ganzen Kitaplatz, bekommen sie nichts ausgezahlt. Ganz einfach und undogmatisch.

Warum ist das nicht auch in Deutschland möglich? Warum streiten wir hier immer noch erbittert um eine »Herdprämie« von nur 150 Euro, mit denen man die Eltern, wenn überhaupt, ab nächstem Jahr abspeisen will? Es ist Zeit, die Augen zu öffnen: Der deutsche Weg ist längst überholt durch die wichtige Erkenntnis, dass kleine Kinder ihre Mütter und Väter dringender brauchen als eine Krippe. Das wissen die Menschen in vielen europäischen Ländern bereits, trotz anderer Vorgaben aus Brüssel. Nur wir, wir rennen immer noch brav hinter den gesellschaftszerstörenden Gesetzen her. Wie lange noch?

  Quelle:
  www.kopp-verlag.de