Sonntag, 24. Juni 2012

Die Geschichte des Wissens: Dunkelheit in der Akademie

»Soweit wir es beurteilen können, besteht der alleinige Zweck der menschlichen Existenz darin, in der Dunkelheit des bloßen Seins ein Licht zu entzünden.«
Carl Gustav Jung


Erkenntnis setzt sich nicht immer durch und überdauert manchmal nicht einmal. Als das römische Weltreich unterging, wurde der Codex Iustinianus, die Sammlung des Zivilrechts der damaligen Zeit (529 v. Chr..) durch das Kirchenrecht (Corpus Iuris Canonici) ersetzt. Die Erhabenheit des Wissens wurde in Ketzerei verwandelt und die Wissbegier der Menschheit praktisch ausgelöscht. Ein
dunkles Zeitalter begann. Erst im elften Jahrhundert setzten sich die Menschen erneut mit den wiederentdeckten Schriften der Griechen und Römer auseinander. Die Dunkelheit, die dieses Zeitalter prägte, wich allmählich, aber dieser Prozess nahm 700 Jahre in Anspruch und wurde niemals ganz vollendet. Heute ist es trotz unserer frommen Lobbekundungen für Bildung und Wissenschaft alles andere als sicher, dass das Licht des Wissens weiter strahlt. Denn die geist- und wissensfeindliche Einstellung konnte niemals ganz überwunden werden; sie überlebte in den düsteren Alkoven  der religiösen Institutionen des Mittelalters. Diese Dunkelheit erreichte auch Amerika, als dort die ersten Universitäten gegründet wurden. Diese Universitäten wurden als fundamentalistisch geprägte Einrichtungen zur beruflichen Bildung errichtet und verfolgten keineswegs das Ziel, Wissen zu verbreiten oder neues Wissen zu schaffen. Sie entsprachen den heutigen islamischen höheren Schulen, den Madrasas; es handelte sich allesamt um Sonntagsschulen. Heute wird selbst dieses konservative Bildungssystem von ideologisierten Fundamentalisten angegriffen. Überall im Westen versuchen Professoren, sich mit Laternen einzudecken. Die Dunkelheit kehrt zurück!



Während des griechischen »Goldenen Zeitalters« lebten in Athen so viele wissbegierige Menschen, dass Aristoteles schrieb: »Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen«. Darin irrte er zwar, aber seine Zeitgenossen waren sicherlich geistigen Dingen zugetan. Athen erlebte eine Blütezeit, in der das Parthenon errichtet und die Stadt zu einem künstlerischen, kulturellen, geistigen und wirtschaftlichen Zentrum der damals bekannten zivilisierten Welt wurde. Zu den Einwohnern Athens zählten Sokrates, Platon, Aristoteles, Aischylos, Aristophanes, Euripides, Menander, Sophokles, der Bildhauer Praxiteles, der Redner Demosthenes, Herodot, Thukydides und viele andere Berühmtheiten. Es herrschte eine Liebe zur Bildung vor. Die sokratische Methode wurde entwickelt, die darin bestand, so lange Fragen zu stellen, bis das Wesen eines Problems erkannt worden war, indem man diejenigen Hypothesen ausschloss, die zu Widersprüchen führten. Die Mathematik als Wissenschaft wurde durch Pythagoras, Euklid und Archimedes und Gelehrte wie Hipparch, Apollonius und Ptolemäus erweitert. Bildung galt als erhaben, aber letzten Endes verflachte das Wissen. Ihm stand als Gegner der Krieg gegenüber, der zur Förderung der Wirtschaft geführt wurde – und dieser gewann. Erkenntnis setzt sich nicht immer durch und überdauert manchmal nicht einmal.

Im Gegensatz dazu lebten in Rom niemals so viele wissbegierige Menschen, dass man die Stadt für ihre Intellektuellen gepriesen hätte. Die Römer verstanden sich besser aufs Plündern. Sie nahmen, was sie kriegen konnten, und schreckten dabei auch vor Mord nicht zurück, wenn es ihnen notwendig erschien. Rom machte das päpstliche Christentum zur Staatsreligion, und als das römische Weltreich unterging, wurde der Codex Iustinianus, die Sammlung des Zivilrechts der damaligen Zeit (529 v. Chr.) durch das Kirchenrecht (Corpus Iuris Canonici) ersetzt. Die Erhabenheit des Wissens wurde in Ketzerei verwandelt, und die Wissbegier der Menschheit wurde praktisch ausgelöscht. Ein dunkles Zeitalter  begann.

Erst im 11. Jahrhundert begannen einzelne Gelehrte in ganz Europa erneut, sich mit dem wiederentdeckten Codex Iustinianus auseinanderzusetzen. Das Studium des römischen Rechts und anderer wiederentdeckter Wissensgebiete breitete sich rasch aus, und das päpstlich geprägte Christentum verstrickte sich in einen inneren Konflikt. Die Wahl zweier Anwärter auf den Heiligen Stuhl führte zu einer Kirchenspaltung: Dieses Schisma ließ neue Zentren der Bildung und des Wissens entstehen und das Ansehen der Kirche sinken. Bildung wurde wieder wertgeschätzt, und schließlich entwickelte sich nicht nur die Renaissance, sondern später auch die Aufklärung, denen sich ein tiefes Interesse am Humanismus hinzugesellte. Allmählich wich die Dunkelheit, aber dieser Prozess nahm sieben Jahrhunderte in Anspruch und wurde niemals ganz vollendet. Heute ist es trotz unserer frommen Lobbekundungen für Bildung und Wissenschaft alles andere als sicher, dass das Licht des Wissens weiter strahlt.

Die Dunkelheit, die das so genannte »finstere Zeitalter« in Europa prägte, ging von den Klöstern, Abteien und scholastischen Universitäten des Mittelalters aus. Die Scholastik ging von ideologisch geprägten Vorstellungen aus, die als angeblich durch Gott inspirierte Wahrheit gelehrt wurden, die alle Bereiche des Universums, das selbst als »die Schöpfung« bekannt war, umfasste. Abweichungen von dieser Lehre waren strikt verboten und wurden nicht hingenommen. Die Folge waren Ketzerprozesse, Hinrichtungen und die Heilige Inquisition. Und selbst als der Einfluss der Kirche schwand, die Zahl der Ketzerprozesse immer weiter zurückging und die Inquisition an Einfluss verlor, überdauerten Überreste der Dunkelheit in anderen Institutionen. Die Liebe zur Bildung, die im antiken Griechenland geblüht hatte, konnte ihre Erhabenheit nicht zurückgewinnen. Die geist- und wissensfeindliche Einstellung konnte niemals völlig überwunden werden, sondern überlebte in den düsteren Alkoven der religiösen Institutionen des Mittelalters. Diese Dunkelheit machte auch vor Amerika nicht Halt.

200 Jahre vor dem Zeitalter der Vernunft bestand Massachusetts aus einer Kolonie religiös konservativer Puritaner, in der immer wieder Menschen ausgewiesen, verstoßen und sogar hingerichtet wurden, wenn sie die stark ideologisierte puritanische Lehre in Frage stellten. Das Harvard College war zwar formell keiner speziellen Kirche angegliedert, wurde aber 1636 vom Parlament von Massachusetts vorrangig gegründet, um die Geistlichen der kongregationalistischen und unitaristischen Kirche auszubilden. Man kann die Ideologie der Puritaner und des Harvard College durchaus als christlich-fundamentalistisch bezeichnen. Das College passte die klassischen akademischen Lehrpläne der puritanischen Denkweise und ihren Glaubensvorstellungen an. Seine Lehrpläne orientierten sich an den Curricula der Universität Cambridge, die ursprünglich einmal als päpstliche Universität gegründet worden war. Harvard war mit anderen Worten die »Liberty University« der damaligen Zeit; eine Bibelschule mit einer deutlich religiösen Ausrichtung. [Die private christliche Liberty University wurde 1971 vom christlich-fundamentalistischen Prediger Jerry Falwell im Bundesstaat Virginia gegründet, 2006 waren dort fast 10.000 Studenten eingeschrieben.] Sie war keineswegs ein Ort universeller Bildung. Als sich Harvard im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts immer mehr zur wichtigsten Kultureinrichtung der Elite von Bostons Zentrum entwickelte, »verweltlichte« die Universität mitsamt ihren Lehrplänen und Studenten immer mehr. Nach dem Bürgerkrieg wurden das College und seine angeschlossenen Fachschulen in eine zentralisierte auf Forschung und Lehre konzentrierte Universität umgewandelt. Aber die Fachschulen orientieren sich damals wie heute noch weitgehend an der beruflichen Ausbildung. An der Geschichte, dem Einfluss und auch dem Reichtum der Universität lässt sich ablesen, dass Harvard vorrangig das Ziel verfolgte, seine Absolventen auf die Arbeit in einer ideologisch einseitigen Marktwirtschaft vorzubereiten. Harvard verfügt über die größte und finanzstärkste Stiftung im akademischen Bereich weltweit. Acht amerikanische Präsidenten zählen zu ihren Absolventen. Harvard ist auch die Alma Mater von mindestens 60 Milliardären. Sie gilt als die amerikanische »Kathedrale« der Finanzelite und fördert eher bestimmte ideologische Konzepte des Establishments als universelle Bildung. Hier beginnt auch mit der Gründung  der ersten Betriebswirtschaftlichen Fakultät 1908 die typisch amerikanische Fixierung auf Betriebswirtschaft und Managerausbildung. Erst zwölf Jahre später entstand in Harvard die erste Pädagogische Fakultät. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Vorrangstellung des Christentums aus den Lehrplänen entfernt, um sie dann durch eine andere Glaubensrichtung zu ersetzen: den transzendentalistisch geprägten Unitarismus. In Harvard triumphierte Glauben noch immer über Wissen und Erkenntnis.

Aber das gilt heute doch wohl nicht mehr? Leider doch. Hier ein Beispiel dafür, wie heute Wirtschaftswissenschaft in Harvard gelehrt wird:

»Vor Kurzem verließen Studenten in Harvard unter Protest ein wirtschaftswissenschaftliches Seminar von Greg Mankiw, weil dessen Lehrweise ideologisch zu einseitig sei… Steven Margolis, der ebenfalls in Harvard lehrt, organisierte ein ›Teach-in‹ zu diesen Protesten… Margolis stellte dabei seinen Vorschlag zur Diskussion, eine alternative Lehrveranstaltung in Harvard anzubieten. Dieser Vorschlag wurde von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zunächst abgelehnt, dann aber unter der Bedingung angenommen, dass diese Veranstaltung als alternativer Studiengang deklariert werde. Wie an vielen anderen Hochschulen auch sollen sich Harvard-Studenten nicht mit Alternativen zum neoklassischen Modell auseinandersetzen und dafür auch noch Anerkennungspunkte (so genannte ›Credits‹) für ihr Hauptfach erhalten können.«

So ist eben die Universität Harvard – der hellste Stern am amerikanischen Bildungs-Pantheon, die von Konservativen oft noch als zu liberal kritisiert wird.

Aber Harvard ist beileibe kein Einzelfall. Die Universität Yale wurde 1701 von zehn kongregationalistischen Pfarrern, allesamt Harvard-Absolventen, als Ausbildungsstätte für Seelsorger und führende nicht-ordinierte Laien in Connecticut gegründet. Als es später in Harvard zu einer tiefen Kluft zwischen Increase Mather auf der einen und der gesamten verbleibenden Geistlichkeit dort kam, und Mather seinen Gegnern vorwarf, sie seien »in zunehmendem Maße liberal, in kirchlichen Belangen zu lax und in kirchenpolitischen Fragen viel zu vage«, lobte er den Erfolg von Yale in der Hoffnung, dort würde die puritanische religiöse orthodoxe Lehre auf eine Weise aufrechterhalten, wie es in Harvard nicht gelungen war – also auch eine weitere Liberty University.

Und dann besuchte der Stanford-Gründer, Leland Stanford, den damaligen Präsidenten von Harvard, Charles Eliot, und fragte ihn, wie viel es koste, Harvard in Kalifornien zu »klonen«. Stanford wurde das Harvard des Westens – eben noch eine weitere konservative fundamentalistische Universität. 1885 erfolgte die Gründung, wobei der Stiftungsurkunde einige besondere Klauseln eingefügt wurden:

»Die Treuhänder… sollen die Entscheidungsgewalt innehaben und es soll ihre Pflicht sein:
An dieser Universität ein Bildungssystem zu errichten und aufrechtzuerhalten, dass , wenn es angewandt wird, die Absolventen zu nützlichen Bestrebungen befähigt …
Religiöse Unterweisungen zu verhindern, aber an der Universität die Unsterblichkeit der Seele, die Existenz eines allweisen und wohltätigen Schöpfers zu lehren, dessen Geboten zu gehorchen die oberste Pflicht jedes Menschen ist…«

Als Senator Stanford 1893 starb, übernahm Jane Stanford die Verantwortung. Nachdem sich Edward Alsworth Ross als Begründer der amerikanischen Soziologie einen Namen gemacht hatte, entließ sie ihn wegen »zu radikaler und rassistischer Ansichten«. Zugleich ordnete sie an, dass den Studenten beigebracht werden müsse, dass jeder Mensch auf der Erde über eine Seele verfüge, und dass von der Entwicklung dieser Seele im Diesseits und auch im »ewigen Leben« alles abhänge. Zudem untersagte sie den Studenten beim Kunststudium in den Seminaren Aktmodelle zu zeichnen. Damit weist auch Stanford erhebliche fundamentalistische Charakterzüge auf.

Diese Universitäten wurden von ungebildeten Personen als fundamentalistische berufsbildende Schulen gegründet. Sie hatten nicht die Aufgabe, Wissen zu fördern und zu verbreiten. Sie entsprachen den heutigen islamischen höheren Schulen, den Madrasas; es handelte sich allesamt um Sonntagsschulen.

Die berufliche Ausbildung im amerikanischen Bildungssystem wurde nach dem Bürgerkrieg durch die Gründung von so genannten »Land-Grant Universities« gefördert. [Dabei handelt es sich um Universitäten, deren Finanzierung auf den nach ihrem Initiator so genannten Morrill Land-Grant Colleges Acts beruht (1862 und 1890). Dabei überträgt die Bundesregierung den Bundesstaaten Landbesitz, deren Erträge für den Aufbau und den Erhalt der Hochschulen eingesetzt werden müssen.] Zahlreiche Einrichtungen wurden gegründet, die, wie etwa die London School of Economics, offen einen Kapitalismus der freien Marktwirtschaft propagierten. So erklärt das Hillsdale College, das 1844, also etwas mehr als 200 Jahre nach dem Harvard College, gegründet wurde,  man »danke Gott für die unschätzbaren Segnungen, die aus der allgemeinen Geltung der bürgerlichen und religiösen Freiheitsrechte und der verständigen Frömmigkeit des Landes erwachsen sind«. Das College ist überzeugt, »nur über die Verbreitung gründlicher Bildung werden diese Segnungen erhalten bleiben«. Die Einrichtung sieht sich selbst als Bewahrer des geistigen und spirituellen Erbes des jüdisch-christlichen Glaubens und der griechisch-römischen Kultur. »Dieses Erbe findet seinen deutlichsten Ausdruck im amerikanischen Experiment der Selbstregierung unter dem Gesetz.« Das Hillsdale College spielte und spielt heute noch in der Geschichte und Entwicklung des amerikanischen konservativen Denkens eine wesentliche Rolle. Der bekannte konservative Denker Russell Kirk startete hier eine beachtliche Karriere, und das College besitzt die Privatbibliothek des österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises, die sie auch ausstellt. Auch zahlreiche Unternehmen spenden große Summen an Colleges und Universitäten, um die Verbreitung des »orthodoxen, klassischen Kapitalismus« zu verbreiten. So erklärte sich zum Beispiel BB&T, die zehntgrößte Finanzholding der USA, bereit, dem Terry College of Business der Universität von Georgia über einen Zeitraum von zehn Jahren 1,5 Millionen Dollar zur Verfügung zu stellen, um »die Lehre und Erforschung der Grundlagen des Kapitalismus und der freien Marktwirtschaft auszuweiten«.

Diese Entwicklungen werden scheinbar durch die amerikanische Begeisterung für »Wissenschaft und Technik« wieder wettgemacht. Aber Amerika begeistert sich gar nicht für die Wissenschaft, und der Beweis liegt auf der Hand. Die Evolutionslehre wird abgelehnt, weil sie im Gegensatz zur biblischen Schöpfungslehre steht. Klima- und Umweltwissenschaften werden abgelehnt, weil sie den Interessen der neoliberalen freien Marktwirtschaft  abträglich sind. Aber nicht nur die Wissenschaften werden verworfen, auch die sie tragenden Wissenschaftler verunglimpft. Das einzige, was die Amerikaner interessiert, sind die Kataloge mit Produkten, die die Ingenieure aufgrund von wissenschaftlichen Entdeckungen entwickelten, an denen sie keinen Anteil hatten. Der Präsident erklärt, Amerika brauche mehr ausgebildete Wissenschaftler und Mathematiker – aber wie sehen die Idole der Amerikaner aus: Bill Gates, der verstorbene Steve Jobs und Mark Zuckerberg. Keiner von ihnen ist Mathematiker oder überhaupt Wissenschaftler, und sie besitzen nicht einmal einen College-Abschluss. Unsere Achtung gegenüber der Wissenschaft hat sich verflüchtigt wie Teichwasser zur Dürrezeit. Hätten die Amerikaner eine natürliche Achtung gegenüber Wissenschaft empfunden, hätten sie aus Respekt vor wissenschaftlicher Methodik alle Ideen zurückgewiesen, die sich nicht empirisch belegen lassen. Aber Amerikaner neigen dazu, immer wieder Ideen umzusetzen, für die es nicht nur keinerlei empirische Belege gibt, sondern deren Untauglichkeit bewiesen wurde. Listen wir nur einmal alle Methoden und Anwendungen auf, an denen die Amerikaner festhalten, die nicht funktionieren und niemals funktioniert haben. Keine Kultur mit Achtung vor der Wissenschaft kann so funktionieren.

Wenn der Präsident erklärt, Amerika müsse mehr Wissenschaftler und Mathematiker »ausbilden«, meint er damit, Amerika solle mehr Architekten ausbilden, deren Beruf ein hohes Maß an wissenschaftlicher und mathematischer Kompetenz erfordert? Ich bezweifele das. Und was ist mit Anthropologen? Auch die sind wohl kaum gemeint. Berichten zufolge kritisierte der Gouverneur von Florida, Rick Scott, das Studium der Anthropologie im Hauptfach massiv, weil es nicht auf eine produktive Karriere vorbereite. Es ist nicht gerade die Art von Wissenschaft, die das Establishment befürwortet. Aber wie sieht es mit Astronomen oder Paläontologen aus? Und welcher Wirtschaftsbereich benötigt nur »Wissenschaftler«? Ich glaube nicht, dass irgendein Unternehmen eine Gruppe theoretischer Mathematiker einstellen will.

Ich bin sicher, Sie haben verstanden, auf was ich hinauswill.

Aber als wäre dies alles noch nicht schlimm genug, wird selbst dieses konservative Bildungswesen  noch von ideologisierten Fundamentalisten aufs Korn genommen:

»Nach dreitägigen heftigen Diskussionen beschloss der bildungspolitische Ausschuss des Bundesstaates Texas einen sozialwissenschaftlichen Lehrplan, der den Lehrbüchern der Bereiche Geschichte und Wirtschaftswissenschaften einen konservativen Anstrich verleihen wird. Vor allem die Überlegenheit des Kapitalismus amerikanischer Prägung, Kritik an der Entschlossenheit der Gründerväter, an einer rein säkularen Regierung festzuhalten und die Darstellung republikanischer Ideen in einem positiveren Licht [sollen künftig hervorgehoben werden]. Das Ergebnis der Abstimmung entsprach mit 10 : 5 genau der Stärke der Parteifraktionen. Alle Republikaner im Ausschuss stimmten der Vorlage zu.«

Dass texanische Politiker so handeln, ist vielleicht keine große Überraschung. Aber kein einziger Professor oder Dekan, kein einziger Universitätspräsident, keine akademische Standes- oder Interessenorganisation erhob ihre Stimme und protestierte. Warum bleiben die ganzen engagierten Wissenschaftler des höheren amerikanischen Bildungssystems stumm und treten nicht in Erscheinung? Was sagt das über ihre Verpflichtung gegenüber der Wissenschaft aus? Und noch schlimmer, die Verfasser der Lehrbücher waren nur allzu bereit, sie zu überarbeiten, um diese Texaner zufriedenzustellen. Welches Licht wirft das auf ihre intellektuelle Redlichkeit? Wie stark ist schon die Dunkelheit im akademischen Leben?

Aber es geht noch weiter:
»Gouverneur Bobby Jindal aus Louisiana setzte vor Kurzem ein Gesetz mit seiner Unterschrift in Kraft, das das umfassendste Bildungsgutschein-Programm aller Bundesstaaten auflegt. Es gehört zu einem ›Reform‹paket, das nach seinen Worten die freie Schulwahl ausweiten soll… [Bei diesem Bildungsgutschein-Konzept, das 1955 zuerst von Milton Friedman vorgeschlagen wurde, werden den Schulen keine unmittelbaren staatlichen Mittel zugewiesen. Vielmehr erhalten die Auszubildenden einen Gutschein, den sie dann bei der Schule ihrer Wahl einlösen, die dann eine festgelegte Summe vom Staat erhält. Dies soll den »Wettbewerb« unter den Schulen fördern.] Kritiker bezeichnen es allerdings als den schwersten Angriff auf das öffentliche Bildungswesen des Landes.«

Auch in diesem Fall schwiegen die amerikanischen Hochschullehrer und ihre Verwaltungen und Interessenvertretungen. Was denken sie sich nur dabei? Haben sie sich schon einmal vorgestellt, wie es in ihrem Unterricht aussähe, wenn ihre Studenten mit all diesen fundamentalistischen Ideologien indoktriniert wären? Was können diese Professoren dann noch lehren? Welche Themen oder Bereiche, die im Widerspruch zu der fundamentalistischen Lehre stehen, werden dann verboten werden? Welche Vorträge werden als politisch nicht korrekt eingestuft werden? In Europa können Personen, die die offizielle zionistische Lesart des Holocaust in Frage stellen, als »Holocaustleugner« verurteilt werden. Werden Personen, die die Evolutionstheorie lehren, kriminalisiert, wenn sie die biblischen Schöpfungsgeschichten ablehnen oder der Auffassung sind, dass eine Ehe nicht nur aus einer Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau bestehen muss? Warum nicht? So ging schließlich die Kirche gegen Galileo Galilei vor. Viele deutsche Universitätsprofessoren hatten unter den Folgen der Nazi-Ideologie zu leiden, weil sie die Überlegenheit der »arischen Rasse« nicht anerkennen konnten.

So etwas könnte hier in den USA nicht passieren? Aber es geschieht bereits.

Seit Jahrzehnten stehen unsere Lehrer an öffentlichen Schulen in der Kritik, die sich oft als Versuch ausgibt, die Qualität ihrer Arbeit transparenter zu machen. Das Bildungsministerium geht davon aus, dass standardisierte Testergebnisse verlässliche und gültige Rückschlüsse auf die Qualität des Lehrers zulassen. Die meisten Bildungsforscher lehnen dies ab. Sie erklären, Testergebnisse auf diese Weise einzusetzen, sei eine negative Folge des Gesetzes »Kein Kind wird zurückgelassen«. Und seit Jahrzehnten sehen die Colleges und Universitäten tatenlos zu, wie ihre Absolventen verunglimpft werden. Aber nun:

»Das Bildungsministerium versuchte vor Kurzem, eine Gruppe von Verhandlungsteilnehmern davon zu überzeugen, Bestimmungen zuzustimmen, die Pädagogische Hochschulen vorrangig danach bewerten würden, wie die Schüler in der Grundschule und der Sekundarstufe, die von den Absolventen  [der zu bewertenden Hochschulen] unterrichtet werden, bei standardisierten Tests abschneiden… Als sich abzeichnete, dass einige der Verhandlungsführer die Grundzüge der Pläne des Ministeriums ablehnen, beendete das Ministerium über eine Konferenzschaltung die Verhandlungen.
Aber damit ist die Angelegenheit noch lange nicht vom Tisch.
Es ist nun damit zu rechnen, dass die Vertreter der Regierung Obama nun auf dem Verordnungswege ihren Willen durchsetzen wollen – ohne Zustimmung des Kongresses oder ohne dass es ihnen, in dieser speziellen Angelegenheit, gelungen wäre, eine von ihnen selbst handverlesene  Zahl von Verhandlungsteilnehmern davon zu überzeugen, dass ihre Vorschläge bildungspolitisch sinnvoll seien.«

Natürlich war das unvermeidlich! Und wenn man schon die Testergebnisse von Studenten dazu heranziehen kann, die Kompetenz und Qualifikation ihrer Lehrer zu bewerten, warum soll man diese Testergebnisse nicht auch zur Qualitätsbewertung der Professoren und Hochschullehrer benutzen, die diese Lehrer ausgebildet haben?

Zuerst die Lehrenden an den Pädagogischen Hochschulen, dann die Professoren an den Betriebswirtschaftlichen Fakultäten, dann die Professoren an den Technischen Hochschulen usw., usw. Rückständigkeit verwendet keinen Gedanken an die Folgen ihres Tuns. Überall im Westen versuchen Professoren, sich mit Laternen einzudecken. Die Dunkelheit kehrt zurück!

Quelle: 
www.kopp-verlag.de