Mittwoch, 9. Januar 2013

Zeitbombe Baufinanzierung: Käufer in der Zinsfalle

Michael Brückner

Die Immobilienbranche boomt: Inflationsängste und niedrige Zinsen treiben die Nachfrage nach Betongold. Doch viele Bauherren und Käufer sitzen in der Finanzierungsfalle – ohne es zu wissen. In einigen Jahren drohen eine Welle von Zwangsversteigerungen und eine Subprime-Krise 2.0. Dieses Mal in Deutschland.


Idealer könnte das Umfeld für die Immobilienwirtschaft und die Baufinanzierer nicht sein. Die führenden Notenbanken halten die Zinsen auf einem extrem niedrigen Niveau, um die Pleitestaaten zu unterstützen. Gleichzeitig wächst bei den Europäern die Angst vor steigenden Inflationsraten. In einer Umfrage von »Eurobarometer« sagte Ende vergangenen Jahres jeder Zweite, er sorge sich mehr um die Stabilität des Geldes als um seinen Arbeitsplatz. Und die Menschen reagieren prompt: Sie flüchten in Sachwerte und bescherten der Immobilienbranche 2012 prächtige Umsätze. Dieser Boom könnte sich nach einer Studie von FeriEuroRating bis mindestens 2015 fortsetzen.


Schon warnen Marktbeobachter vor einer Immobilienblase angesichts deutlich steigender Preise. Vor allem in den Ballungszentren drohen die eigenen vier Wände selbst für Käufer mit überdurchschnittlichem Einkommen allmählich unbezahlbar zu werden. In den kommenden drei Jahren dürften sich die Preise für Eigentumswohnungen in Hamburg und München um fast 16 beziehungsweise elf Prozent erhöhen, schätzt FeriEuroRating.

Doch während allenthalben über das Risiko einer Preisblase diskutiert wird, bauen sich brandgefährliche Finanzierungsrisiken auf. Kommt es in Deutschland in zehn Jahren zu einer Welle von Zwangsversteigerungen? Hunderttausende von jungen Immobilieneigentümern, die sich in den letzten Wochen und Monaten den Traum vom eigenen Haus oder der eigenen Wohnung erfüllt haben, sitzen in der Finanzierungsfalle, ohne es zu ahnen.

Grund ist eine wenig beachtete Besonderheit des Annuitätendarlehens, das bei der Baufinanzierung durch Banken die Regel ist und von Experten normalerweise auch empfohlen wird. Der Darlehensnehmer zahlt für einen bestimmten Zeitraum – meist zehn oder 15 Jahre – monatlich eine im Voraus festgelegte Rate (Annuität), in der die Schuldzinsen und ein Tilgungsanteil enthalten sind. Dadurch sinkt die Darlehenssumme sukzessive, und die somit erzielte Zinsersparnis kommt einer höheren Tilgung zugute. Sind die Schuldzinsen so niedrig wie derzeit, fällt aber auch die Zinsersparnis gering aus. Die fatale Konsequenz: Es dauert wesentlich länger, bis die Immobilie entschuldet ist.

Bei einem Effektiv-Zinssatz auf dem langjährigen Durchschnittsniveau zwischen sechs und sieben Prozent und einer Standardtilgung von jährlich einem Prozent der Darlehenssumme ist die Immobilie meist nach etwas mehr als 30 Jahren entschuldet. Liegt der Zinssatz hingegen bei 2,65 Prozent, erfordert die Volltilgung des Darlehens über 50 Jahre!

Solange wird sich freilich keine Bank festlegen. Normalerweise läuft die Zinsbindung nach zehn oder 15 Jahren aus, dann werden die Karten neu gemischt. Das heißt, die Anschlussfinanzierung erfolgt zu den marktüblichen Konditionen. Da nicht davon auszugehen ist, dass die derzeitige Niedrigzinsperiode jahrzehntelang fortgesetzt wird, müssen die Bankkunden später mit erheblich höheren Belastungen rechnen, zumal durch den beschriebenen Effekt der geringen Tilgung auch nach zehn oder 15 Jahren eine hohe Restschuld verbleibt, die dann verzinst werden muss. Wer heute zu 2,65 Prozent Zinsen 200.000 Euro Baugeld aufnimmt, hat bei einer Standardtilgung von einem Prozent per annum in zehn Jahren nicht einmal 23.000 Euro zurückgeführt, aber über 50.000 Euro Zinsen an die Bank gezahlt.

Steigen die Zinsen im Laufe der Jahre wieder auf sechs bis sieben Prozent – was im langjährigen Vergleich nicht übertrieben hoch wäre –, dürften sich die Belastungen für Zins und Tilgung für den Immobilieneigentümer gegenüber heute etwa verdoppeln. Gleichzeitig fallen nach zehn bis 15 Jahren die ersten teuren Reparaturen am Haus oder in der Wohnung an, was das Budget zusätzlich belastet.

Ein seriöser Berater würde seinen Kunden empfehlen, das derzeit geringe Zinsniveau zu nutzen, um die Tilgungsrate zu erhöhen – zum Beispiel auf zwei oder drei Prozent per annum. Stattdessen werden die Interessenten aber in immer teurere Objekte getrieben. Motto: Wenn die Zinsen niedrig sind, kann man sich »mehr Immobilie« leisten. Daran verdienen alle: Bauträger und private Verkäufer sowieso, aber natürlich auch Makler, Notare und das Finanzamt infolge höherer Objektpreise. Die Bank wiederum hat ein nachvollziehbares Interesse, mit einem möglichst hohen Darlehen viele Jahre Zinserträge zu erwirtschaften.
Die Bauherren und Käufer hingegen leben mit einer finanziellen Zeitbombe, die schon bei der ersten Anschlussfinanzierung explodieren kann. Besonders gefährdet sind Immobilieneigentümer, die ihr selbstgenutztes Objekt mit nur geringem Eigenkapital erworben haben. Früher galt die Banker-Regel, dass für eine solide Baufinanzierung mindestens ein Drittel des Objektpreises mit Eigenkapital bestritten werden sollte. Heute liegt die Eigenkapitalquote oft nur zwischen zehn und 20 Prozent. Manche finanzieren ihre Immobilie sogar zu 100 Prozent.

Das Problem: Muss der Immobilieneigentümer sein Objekt aufgrund steigender Zinslasten in ein paar Jahren verkaufen, dürften die Erlöse nicht einmal ausreichen, um die verbleibende Restschuld zu tilgen. Zumal die Einstiegspreise derzeit schon sehr hoch sind. Im dritten Quartal 2012 war selbstgenutztes Wohneigentum in Deutschland im Schnitt um 4,1 Prozent teurer als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, errechnete kürzlich der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp). Selbst wenn sich dieser Preisauftrieb noch zwei, drei Jahre fortsetzt, dürfte es früher oder später zu einer kräftigen Korrektur kommen. Während die Immobilienwirtschaft den um ihr Geld bangenden Bürgern das angebliche Betongold schmackhaft machen möchte, denken Profis jedenfalls bereits ans Verkaufen. »Gerade weil alle anderen kaufen wollen, ist jetzt der ideale Verkaufszeitpunkt. Denn die große Nachfrage erlaubt kräftige Gewinnmitnahmen«, sagt Jürgen Michael Schick, Vizepräsident des Immobilienverbands IVD. Wer diese Gewinne zahlt, liegt auf der Hand: Alle, die jetzt noch schnell zu hohen Einstiegspreisen Betongold kaufen.

Quelle:

www.kopp-verlag.de

Keine Kommentare: