Michael Brückner
Die Immobilienbranche boomt:
Inflationsängste und niedrige Zinsen treiben die Nachfrage nach
Betongold. Doch viele Bauherren und Käufer sitzen in der
Finanzierungsfalle – ohne es zu wissen. In einigen Jahren drohen eine
Welle von Zwangsversteigerungen und eine Subprime-Krise 2.0. Dieses Mal
in Deutschland.
Idealer könnte das Umfeld für die Immobilienwirtschaft und die
Baufinanzierer nicht sein. Die führenden Notenbanken halten die Zinsen
auf einem extrem niedrigen Niveau, um die Pleitestaaten zu unterstützen.
Gleichzeitig wächst bei den Europäern die Angst vor steigenden
Inflationsraten. In einer Umfrage von »Eurobarometer« sagte Ende
vergangenen Jahres jeder Zweite, er sorge sich mehr um die Stabilität des Geldes als um seinen Arbeitsplatz. Und die
Menschen reagieren prompt: Sie flüchten in Sachwerte und bescherten der
Immobilienbranche 2012 prächtige Umsätze. Dieser Boom könnte sich nach
einer Studie von FeriEuroRating bis mindestens 2015 fortsetzen.
Schon warnen Marktbeobachter vor einer Immobilienblase angesichts
deutlich steigender Preise. Vor allem in den Ballungszentren drohen die
eigenen vier Wände selbst für Käufer mit überdurchschnittlichem
Einkommen allmählich unbezahlbar zu werden. In den kommenden drei Jahren
dürften sich die Preise für Eigentumswohnungen in Hamburg und München
um fast 16 beziehungsweise elf Prozent erhöhen, schätzt FeriEuroRating.
Doch während allenthalben über das Risiko einer Preisblase diskutiert
wird, bauen sich brandgefährliche Finanzierungsrisiken auf. Kommt es in
Deutschland in zehn Jahren zu einer Welle von Zwangsversteigerungen?
Hunderttausende von jungen Immobilieneigentümern, die sich in den letzten
Wochen und Monaten den Traum vom eigenen Haus oder der eigenen Wohnung
erfüllt haben, sitzen in der Finanzierungsfalle, ohne es zu ahnen.
Grund ist eine wenig beachtete Besonderheit des Annuitätendarlehens,
das bei der Baufinanzierung durch Banken die Regel ist und von Experten
normalerweise auch empfohlen wird. Der Darlehensnehmer zahlt für einen
bestimmten Zeitraum – meist zehn oder 15 Jahre – monatlich eine im
Voraus festgelegte Rate (Annuität), in der die Schuldzinsen und ein
Tilgungsanteil enthalten sind. Dadurch sinkt die Darlehenssumme
sukzessive, und die somit erzielte Zinsersparnis kommt einer höheren
Tilgung zugute. Sind die Schuldzinsen so niedrig wie derzeit, fällt aber
auch die Zinsersparnis gering aus. Die fatale Konsequenz: Es dauert
wesentlich länger, bis die Immobilie entschuldet ist.
Bei einem Effektiv-Zinssatz auf dem langjährigen Durchschnittsniveau
zwischen sechs und sieben Prozent und einer Standardtilgung von jährlich
einem Prozent der Darlehenssumme ist die Immobilie meist nach etwas
mehr als 30 Jahren entschuldet. Liegt der Zinssatz hingegen bei 2,65
Prozent, erfordert die Volltilgung des Darlehens über 50 Jahre!
Solange wird sich freilich keine Bank festlegen. Normalerweise läuft
die Zinsbindung nach zehn oder 15 Jahren aus, dann werden die Karten neu
gemischt. Das heißt, die Anschlussfinanzierung erfolgt zu den
marktüblichen Konditionen. Da nicht davon auszugehen ist, dass die
derzeitige Niedrigzinsperiode jahrzehntelang fortgesetzt wird, müssen
die Bankkunden später mit erheblich höheren Belastungen rechnen, zumal
durch den beschriebenen Effekt der geringen Tilgung auch nach
zehn oder 15 Jahren eine hohe Restschuld verbleibt, die dann verzinst
werden muss. Wer heute zu 2,65 Prozent Zinsen 200.000 Euro Baugeld
aufnimmt, hat bei einer Standardtilgung von einem Prozent per annum in
zehn Jahren nicht einmal 23.000 Euro zurückgeführt, aber über 50.000
Euro Zinsen an die Bank gezahlt.
Steigen die Zinsen im Laufe der Jahre wieder auf sechs bis sieben
Prozent – was im langjährigen Vergleich nicht übertrieben hoch wäre –,
dürften sich die Belastungen für Zins und Tilgung für den
Immobilieneigentümer gegenüber heute etwa verdoppeln. Gleichzeitig
fallen nach zehn bis 15 Jahren die ersten teuren Reparaturen am Haus
oder in der Wohnung an, was das Budget zusätzlich belastet.
Ein seriöser Berater würde seinen Kunden empfehlen, das derzeit
geringe Zinsniveau zu nutzen, um die Tilgungsrate zu erhöhen – zum
Beispiel auf zwei oder drei Prozent per annum. Stattdessen werden die
Interessenten aber in immer teurere Objekte getrieben. Motto: Wenn die
Zinsen niedrig sind, kann man sich »mehr Immobilie« leisten. Daran
verdienen alle: Bauträger und private Verkäufer sowieso, aber natürlich
auch Makler, Notare und das Finanzamt infolge höherer Objektpreise.
Die Bank wiederum hat ein nachvollziehbares Interesse, mit einem
möglichst hohen Darlehen viele Jahre Zinserträge zu erwirtschaften.
Die Bauherren und Käufer hingegen leben mit einer finanziellen
Zeitbombe, die schon bei der ersten Anschlussfinanzierung explodieren
kann. Besonders gefährdet sind Immobilieneigentümer, die ihr
selbstgenutztes Objekt mit nur geringem Eigenkapital erworben haben.
Früher galt die Banker-Regel, dass für eine solide Baufinanzierung
mindestens ein Drittel des Objektpreises mit Eigenkapital bestritten
werden sollte. Heute liegt die Eigenkapitalquote oft nur zwischen zehn
und 20 Prozent. Manche finanzieren ihre Immobilie sogar zu 100 Prozent.
Das Problem: Muss der Immobilieneigentümer sein Objekt aufgrund
steigender Zinslasten in ein paar Jahren verkaufen, dürften die Erlöse
nicht einmal ausreichen, um die verbleibende Restschuld zu tilgen. Zumal
die Einstiegspreise derzeit schon sehr hoch sind. Im dritten Quartal
2012 war selbstgenutztes Wohneigentum in Deutschland im Schnitt um 4,1
Prozent teurer als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, errechnete
kürzlich der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp). Selbst wenn sich
dieser Preisauftrieb noch zwei, drei Jahre fortsetzt, dürfte es früher
oder später zu einer kräftigen Korrektur kommen. Während die
Immobilienwirtschaft den um ihr Geld bangenden Bürgern das angebliche
Betongold schmackhaft machen möchte, denken Profis jedenfalls bereits
ans Verkaufen. »Gerade weil alle anderen kaufen wollen, ist jetzt der
ideale Verkaufszeitpunkt. Denn die große Nachfrage erlaubt kräftige
Gewinnmitnahmen«, sagt Jürgen Michael Schick, Vizepräsident des
Immobilienverbands IVD. Wer diese Gewinne zahlt, liegt auf der Hand:
Alle, die jetzt noch schnell zu hohen Einstiegspreisen Betongold kaufen.
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