Samstag, 21. Juli 2012

Stehen wir kurz vor Ausbruch eines umfassenden Krieges in der Nahmittelost-Region?


Ben Schreiner
Die schon gewohnten bedrohlichen amerikanischen Kriegstrommeln werden noch heftiger geschlagen – und der Iran befindet sich wieder einmal im Fadenkreuz des Pentagons.


Zahlreichen Berichten zufolge sind die USA derzeit dabei, ihre militärische Präsenz im Persischen Golf in einem seit der amerikanischen Invasion des Iraks 2003 beispiellosen Maße zu verstärken. Immer mehr Luftwaffen- und Marineeinheiten, Bodentruppen und sogar Seedrohnen werden in die
Region verlegt. Und nicht zu vergessen: Bereits jetzt befinden sich zwei amerikanische Trägerkampfgruppen, die in der Regel aus einem Flugzeugträger und neun Begleitschiffen bestehen, im Persischen Golf – und schon bald sollen es vier Trägerkampfgruppen sein.



Auch in Washington macht sich eine zunehmend fiebrige Stimmung für einen Irankrieg bemerkbar. Um die anhaltenden Verhandlungen zwischen dem Iran und der so genannten Sechsergruppe (die fünf ständigen Vetomächte des UN-Sicherheitsrats und Deutschland) von vorneherein scheitern zu lassen, forderte eine überparteiliche Gruppe von 44 amerikanischen Senatoren vor Kurzem in einem Schreiben an Präsident Obama, die Regierung solle sich »vorrangig darauf konzentrieren, den Druck auf den Iran durch Sanktionen deutlich zu erhöhen und klarzustellen, dass eine glaubwürdige militärische Option auf dem Tisch liegt«.

Ein solches kriegstreiberisches Gebaren erlaubt man sich, obwohl weder die amerikanischen noch die israelischen Geheimdienste Beweise dafür vorlegen können, dass sich der Iran für den Bau einer Atombombe entschieden habe – und dies ist ja der vorgebliche Grund für die westlichen Sanktionen und die Drohung mit einem militärischen Vorgehen. Noch im April dieses Jahres hieß es im Gegenteil in einem Bericht des Verteidigungsministeriums, die Militärdoktrin des Iran sei weiterhin auf Selbstverteidigung ausgerichtet und ziele darauf ab, »eine Invasion zu hinauszuzögern« und eine »diplomatische Lösung für Feindseligkeiten« zu suchen. Im Vergleich dazu setzt die gültige amerikanische Militärdoktrin auf »weltweite Machtprojektion«. Unter »Machtprojektion« versteht man die Fähigkeit eines Staates, seine Interessen auch weit außerhalb seines Staatsgebiets durchsetzen zu können. Es ist augenfällig, von wem hier eine glaubhafte militärische Bedrohung ausgeht.

Offensichtlich ist die angebliche atomare Gefahr nur ein Vorwand, um die amerikanischen imperialen Ziele in der Region durchzusetzen. Ein hochrangiger Pentagon-Mitarbeiter ließ gegenüber der New York Times vor Kurzem die Katze aus dem Sack: »Es geht hier nicht nur um das ehrgeizige iranische Atomprogramm, sondern um das Bestreben des Iran, regionale Vormacht zu werden.« Es geht mit anderen Worten darum, eines der letzten Hindernisse für die amerikanischen Machtprojektionen in der rohstoffreichen Nahmittelost-Region aus dem Wege zu räumen.

Derzeit sieht sich der Iran bereits von drei Seiten aus unter Druck: Angriffe mit Computerviren unter Federführung der USA, Mordanschläge durch israelische Kräfte und die harten westlichen Wirtschaftssanktionen. Besonders letztere wirken sich vor allem auf die allgemeine iranische Bevölkerung aus, die jetzt mit einer verhängnisvollen Mischung aus galoppierender Inflation und rasant steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Conn Hallinan brachte es auf der Internetseite Counterpunch auf den Punkt: »Der Westen führt bereits Krieg gegen den Iran«.

Das bringt uns zu der Frage: Wie weit soll dieser »Krieg mit anderen Mitteln« noch verschärft werden?


Es droht eine gefährliche Eskalation


Auch wenn Strafsanktionen immer wieder als Alternative zum Krieg dargestellt werden, finden sich in der Geschichte zahlreiche Beweise für das Gegenteil. Oft sind Sanktionen nur das Vorspiel zu militärischen Feindseligkeiten. (Dazu muss man sich nur die Entwicklungen im Irak und die Geschichte westlicher Sanktionen und der dann folgenden Invasionen durch die USA vor Augen führen.)

Vor kurzem warnte die New York Times in einem Artikel vor genau dieser Entwicklung. Die derzeitige Runde westlicher Strafmaßnahmen, die dem Iran auferlegt wurden, »markiert einen der bisher schroffsten Fälle, bei denen Erdölsanktionen als Zwangsmittel eingesetzt wurden, seit die USA Japan 1940 von Erdölimporten abschnitten. Dieses Experiment schlug fehl: Die Japaner entschieden sich dafür, als erste anzugreifen, bevor sie geschwächt wären.«

Aber ähnlich wie der Versuch, die japanische Wirtschaft kurz vor dem Zweiten Weltkrieg zu schwächen, könnte der jetzige Versuch, den Iran über Wirtschaftssanktionen in die Knie zu zwingen, das Land zu einem Präventivschlag bewegen – und damit die endgültige Rechtfertigung für ein umfassendes amerikanisches Vorgehen liefern, um einen »Regimewechsel« zu erzwingen.

Und noch eine weitere historische Parallele drängt sich auf: Wie in den 1940er Jahren bahnt heute eine weltweite und tiefgreifende Krise des Kapitalismus dem Krieg den Weg. Schließlich eröffnet Krieg den gewaltsamen Zugang zu neuen Märkten und verheißt Gewinne in Hülle und Fülle im Rahmen des späteren »Wiederaufbaus« nach der vorangegangenen »kreativen Zerstörung«. Und beides ist angesichts eines in Schwierigkeiten geratenen Wirtschaftssystems, das auf grenzenlosem Wachstum und ewiger Ausdehnung beruht, dringend notwendig. Und tatsächlich erhebt diese Verlockung des Krieges inmitten der derzeitigen Krise ihr hässliches Haupt.

Die NATO-Intervention in Libyen vor einem Jahr  – Alexander Cockburn bezeichnete sie als »kolonialistischen Blitzeinbruch« – war der erste Beleg dafür, dass die westlichen Eliten auf Krieg als dem Mittel setzten, die derzeitige schwer zu bewältigende kapitalistische Krise zu lösen. Aber die in Libyen eingesackte Beute reichte nicht aus, um wieder ein Wirtschaftswachstum wie vor der Finanzkrise von 2008 zu erreichen.

Und hier gerät der Iran ins Visier: Trotz der Sanktionen ist das Bruttoinlandsprodukt des Iran immer noch fünfmal größer als das Libyens; und zudem sitzt das Land auf den drittgrößten Erdölreserven und den zweitgrößten Erdgasvorkommen der Welt. Wenn es gelänge, einen besiegten und »befriedeten« Iran stärker in das von den USA beherrschte kapitalistische System zu »integrieren«, könnte dies potenziell die dringend notwendige Erneuerung des weltweiten Kapitalismus ermöglichen. Und natürlich würde die Kontrolle über die iranischen Energievorkommen den USA und ihren Verbündeten praktisch das Monopol über die Energiereserven der gesamten Nahmittelost-Region in die Hände spielen – ein strategischer Vorteil in dem sich anbahnenden Konflikt mit den konkurrierenden Mächten Russland und China.

Vor diesem Hintergrund der Zwänge eines sich erneuernden weltweiten Kapitalismus erklärt sich auch, warum die USA unter dem Vorwand, die Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindern zu wollen, ihre Militärpräsenz im Persischen Golf so massiv verstärken. Die Begleitmusik in Form von Äußerungen zu militärischen Feindseligkeiten und dass noch »alle Optionen gegen den Iran auf dem Tisch lägen«, wie sie aus Kreisen der Elite in Washington zu hören sind, sollten daher nicht als »leere Drohungen« missverstanden werden.

Denn wir stehen ohne Zweifel am Abgrund eines umfassenden Krieges.


Quelle:
www.kopp-verlag.de