Wieder einmal feiern die Euro-Retter den angeblichen Durchbruch: Griechenland wird mit einem 130 Milliarden Euro schweren Paket unter die schwachen Arme gegriffen, private Gläubiger lassen sich auf mehr oder minder sanften Druck seitens der Regierungen auf einen Schuldenschnitt ein und schreiben einen erheblichen Teil ihrer Forderungen ab. Einmal mehr hat das für die europäische Öffentlichkeit geschriebene Drehbuch der griechischen Schuldentragödie bestens funktioniert: Athen drohte erneut mit der Staatspleite, die EU und vor allem Deutschland übernahmen die Rolle des strengen Sparkommissars, der den Hellenen als Voraussetzung für neue Hilfen drastische Sparmaßnahmen auferlegte. Das beruhigt die friedfertigen deutschen Steuerzahler – und die Medien jubeln über die »eiserne Kanzlerin«. In Athen darf derweil der Staatspräsident theatralisch ausrasten und den deutschen Finanzminister beschimpfen. Das wiederum kommt bei vielen Griechen gut an. Doch hinter den Kulissen wurde der nächste Akt der Insolvenzverschleppung bereits abgesprochen. Den Bürgern aber präsentiert man ein unwürdiges Schmierentheater.
Denn auch die jüngsten Brüsseler Beschlüsse werden Griechenland nicht retten. Allein diese Erkenntnis darf als gesichert gelten. Es wurde wieder einmal ein hoher Preis gezahlt, um Zeit zu gewinnen – zumindest bis nach den Wahlen in Griechenland und Frankreich. Hier sechs Wahrheiten, die den Steuerzahlern der Geberländer oft verschwiegen werden:
1. Die milliardenschwere Hilfe kommt nicht der griechischen Wirtschaft zugute, sondern den Gläubigern. Die angeblichen Euro-Retter sind in Wahrheit Gläubiger-Retter. Die griechischen Banken brauchen dringend frisches Kapital, um nach einem Schuldenschnitt nicht pleite zu gehen. Der geschätzte Aufwand beläuft sich auf mindestens 30 Milliarden Euro. Weitere 30 Milliarden Euro plus Zinsen sind erforderlich für neue EFSF-Anleihen im Rahmen des Schuldenschnitts. Mit der geplanten Einrichtung eines Sperrkontos soll sichergestellt werden, dass Staatseinnahmen weitgehend der Befriedigung von Gläubigeransprüchen dienen. Athen gibt damit faktisch einen Teil seiner Haushaltssouveränität ab.
2. Die beiden größten Parteien des Landes verlieren dramatisch an Zustimmung. Nach den Parlamentswahlen könnten die politischen Karten in Griechenland neu gemischt werden. Ob sich die dann Regierenden noch an die Sparzusagen halten werden, ist angesichts zunehmender innerer Unruhen mehr als zweifelhaft. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ahnt das wohl auch. Weshalb sonst hat er den Griechen empfohlen, die Parlamentswahlen zu verschieben?
3. Griechenland hat viele Beamte, aber keine Verwaltung. Es bestehen keine belastbaren staatlichen Strukturen. Was immer das Parlament beschließen mag – umgesetzt werden können bestenfalls Teile davon. Aus Gründen der politischen Korrektheit wird verschwiegen, was nicht nur für die Mitglieder der so genannten Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF längst offenkundig ist: Griechenland ist auf dem Niveau eines Landes der Dritten Welt angelangt. Auf dem Korruptionsindex der Organisation Transparency International steht Griechenland zwischen Kolumbien und Peru.
4. Die Wirtschaftsstruktur des Landes war – abgesehen von ein paar Nischen wie dem Tourismus – schon vor der Krise schwach. Als Folge der bereits beschlossenen Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen erodierte nun auch noch der schmale Mittelstand. Während die Bedeutung von Industrie und Dienstleistungen für die griechische Wirtschaft weiter sinkt, flüchten viele Städter aufs Land und bebauen ihre Äcker. Ein Euro-Staat, dessen ökonomischer Schwerpunkt sich zunehmend auf die Landwirtschaft verlagert, wird dauerhaft milliardenschwere Hilfen brauchen. Auch wenn es der griechische Staatspräsident nicht gern hört – sein Land ist in der Tat ein Fass ohne Boden. Zumindest so lange, wie es den Euro als Landeswährung behält.
5. Wenn die Wirtschaft eines Landes nicht mehr wettbewerbsfähig ist, bleibt nur der Ausweg einer Abwertung der Währung. Solange Griechenland den Euro hat, ist dies nicht möglich. Da aber die Euro-Retter Athen unbedingt in der Währungsunion halten wollen, kommt es in der Konsequenz zu einer deflationären Anpassung. Deshalb sinken die Mindestlöhne. Doch selbst dies hilft dem Land nicht weiter, weil der griechische Exportsektor extrem schwach ist. Denn was bringt es, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen durch Lohnsenkungen zu erhöhen, wenn zumindest mittelfristig kein Markt da ist, auf dem sich die Güter verkaufen lassen? Die Inlandsnachfrage wiederum bleibt schwach, weil die Menschen deutlich weniger verdienen und auf privaten Schulden sitzen.
6. Selbst wenn sich alle positiven Prognosen der Euro-Retter erfüllten (es wäre das erste Mal), würde die griechische Schuldenquote von jetzt rund 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahr 2020 lediglich auf bestenfalls 120 Prozent sinken. Damit läge sie immer noch über der aktuellen Staatsverschuldung Italiens. Willem Buiter, Chefvolkswirt der Citibank, rechnet daher bald mit einem weitergehenden Schuldenschnitt. Private und öffentliche Gläubiger dürften dann sehr viel mehr Geld verlieren.
Das alles geht in der aktuellen Euphorie der Euro-Retter wieder einmal unter. An den Börsen wird die angebliche Rettung der Banken gefeiert, aber nicht die Rettung Griechenlands. Der südeuropäische Patient hat nur außerhalb der Währungsunion eine Chance. Noch aber verweigert der Mainstream diese Erkenntnis. Lange wird dies nicht mehr gelingen.
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