Freitag, 22. Februar 2013
Senator Lindsey Graham macht US-Drohnen für den Tod von fast 5.000 Menschen verantwortlich
Redaktion
Zum ersten Mal hat ein hochrangiger amerikanischer Senator öffentlich die bisherige Zahl der Opfer des immer stärker ausgeweiteten amerikanischen Drohnenkrieges genannt – und sie fiel höher aus als von unabhängigen Experten vermutet.
Der republikanische Senator Lindsey Graham aus South Carolina nannte am Dienstag dieser Woche in einer Rede vor Bürgern im Easly Rotary Club in Easley im US-Bundesstaat South Carolina im Zusammenhang mit der ständig wachsenden Zahl der Tötungen durch das amerikanische Drohnenarsenal eine konkrete Zahl. »Wir haben 4.700 Personen getötet«, sagte
er einem Bericht der einflussreichen amerikanischen Denkfabrik Council on Foreign Relations zufolge. »Manchmal trifft es unschuldige Menschen. Ich verabscheue das, aber wir befinden uns nun einmal im Krieg, und wir konnten einige hochkarätige Al-Qaida-Führungsmitglieder ausschalten.«
In den vergangenen Monaten hatte sich der einflussreiche Senator mehrfach öffentlich zu Wort gemeldet, um die wachsende Bedeutung der Drohnenkriegführung in den amerikanischen Kriegen im Ausland zu erläutern und zu verteidigen, aber die tatsächliche Zahl der Opfer dieser mit Raketen bestückten fliegenden Roboter wurde lange Zeit verschwiegen. Weder die Regierung noch der Kongress der USA hatte bisher offizielle Zahlen oder zumindest Schätzungen zur Zahl der Getöteten preisgegeben, und die Drohnenangriffe, die zumeist unter Federführung des Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA) durchgeführt werden, wurden trotz zahlreicher Augenzeugenberichte von Überlebenden der Angriffe offiziell nur in wenigen Fällen bestätigt.
Bisher waren Journalisten, die versuchten, das Drohnenprogramm quantitativ zu durchleuchten, von sehr viel geringeren Zahlen ausgegangen. So berichtete die Washington Post im Oktober 2012, Schätzungen zufolge würde die Zahl der durch Drohnen verursachten Todesfälle wohl bald die 3.000er-Marke überschreiten; und zwei Monate später schätzte das Council on Foreign Relations aufgrund von Berechnungen der New America Foundation, des Long War Journal und des Bureau of Investigative Journalism (»Büro für investigativen Journalismus«) die Zahl der Toten auf 3.430 Personen.
Als Wissenschaftler der Universität Stanford und der Universität New York im vergangenen September ihren Bericht »Leben unter Drohnen« (»Living under Drones«) in englischer Sprache veröffentlichten, hieß es dort, bei nur etwa zwei Prozent der Drohnenopfer handle es sich um führende Kämpfer, und der pakistanische Innenminister erklärte, 80 Prozent der Todesopfer bei Drohnenangriffen seien Zivilisten. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen (UN) zu Menschenrechten bei der Terrorbekämpfung, der britische Kronanwalt Ben Emmerson, kündigte inzwischen an, die UN hätten »eine Sonderermittlungseinheit im Rahmen der so genannten ›Spezialverfahren‹ des UN-Menschenrechtsrats eingerichtet, um einzelne Drohnenangriffe zu untersuchen«. Unabhängige Recherchen ergeben zusammen mit den Äußerungen Senator Grahams ein klares Bild: Offenbar fielen dem amerikanischen Drohnenkrieg mehr als nur »einige wenige« Zivilisten zum Opfer.
Bisher sind die Äußerungen des Senators möglichweise die bisher einzige Stellungnahme, mit der die amerikanische Öffentlichkeit von einem Vertreter des offiziellen Washingtons, der tatsächlich auch glaubhaft in der Lage ist, über die wirklichen Opferzahlen dieses weit entfernten Krieges zu berichten, informiert wurde. Präsident Obama ist entschlossen, an seinem Drohnenkrieg festzuhalten, und erklärte noch im vergangenen Jahr, dieses Programm werde »engmaschig kontrolliert« und seine Regierung führe hier keine »willkürlichen Angriffe«.
In South Carolina fügte Senator Graham in seiner Rede noch hinzu, seiner Ansicht nach handele es sich bei Drohnen um »eine Waffe, deren Einsatz notwendig ist«. Im weiteren Verlauf wurde deutlich, dass er dabei nicht nur an Einsätze im Ausland denkt. Im Zusammenhang mit unbewaffneten Drohnen sagte er: »Wir brauchen Drohnen zu Überwachung der Grenzen, damit wir endlich der illegalen Einwanderung Herr werden.«
Graham ging auch auf die Tötung des amerikanischen Staatsbürgers Anwar al-Awlaki ein, dem Verbindungen zu al-Qaida vorgeworfen wurden. Kritiker vertreten die Auffassung, seine Tötung sei die unrechtmäßige Hinrichtung einer Person, die nach der amerikanischen Verfassung das Recht auf ein Gerichtsverfahren gehabt habe. Der Senator argumentierte demgegenüber, als »feindlicher Kämpfer« habe al-Awlaki dieses Recht verwirkt: »Ich bin dagegen, dass er vor Gericht gestellt wird. Wir kämpfen hier nicht gegen ein Verbrechen, sondern wir stehen im Krieg. Es fällt in die Verantwortung des Präsidenten, zu entscheiden, wer als feindlicher Kämpfer einzustufen ist und wer nicht – und das ist auch meine Position. Dies wurde noch nie zuvor von Richtern entschieden. Ich befürworte das Drohnenprogramm.«
Allein in den ersten zehn Tagen des neuen Jahres wurden 40 Pakistaner durch Drohnen getötet. Bei mindestens elf von ihnen soll es sich um Zivilisten gehandelt haben.
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