Gerhard Wisnewski
Berichte über Gräueltaten der
israelischen Armee in den Palästinensergebieten gibt es jede Menge. Aber
noch nie haben ehemalige israelische Soldaten selbst ausgepackt. Und
zwar im O-Ton und ungeschminkt. Zusammengetragen wurden die
erschütternden Zeugnisse in einem neuen Buch: Breaking the Silence.
Nablus in den autonomen Palästinensergebieten. Eine Nacht im Jahr
2002. Israelische Fallschirmjäger haben ein Hausdach eingenommen und
beobachten einen unbewaffneten Mann, der zwei Häuser weiter auf einem
anderen Dach herumläuft. Sie nennen ihn den »Späher«. Doch was macht er
da? Beobachtet er wirklich die Israelis? Oder kann er bloß nicht
schlafen? Niemand wird es je erfahren. Denn wenig später ist der Mann
tot – erschossen von einem israelischen Scharfschützen. Doch das ist
noch nicht einmal das Besondere an dem Fall. Das Besondere daran ist,
dass dieser Vorfall nicht von Palästinensern oder ihren Sympathisanten erzählt wird, sondern von ehemaligen israelischen Soldaten selbst.
Hunderte von Veteranen haben die Nase voll von den Gräueltaten der
Besatzungsarmee und haben sich in der Gruppe Breaking the Silence zusammengeschlossen,
um ihre authentischen Berichte von der »Front« zusammenzutragen – und
zwar im Originalton: »Ich habe den Mann durch das Nachtsichtgerät
gesehen«, berichtet zum Beispiel ein israelischer Fallschirmjäger über
den oben geschilderten Fall: »Er war unbewaffnet. Es war zwei Uhr früh.
Ein unbewaffneter Mann lief auf einem Dach herum, er lief einfach nur
herum. Wir haben es dem Kompaniechef gemeldet. Der Kompaniechef hat
gesagt: ›Erschießen Sie ihn.‹ Der Scharfschütze hat geschossen, er hat
ihn erschossen. Der Kompaniechef hat entschieden, hat über Funk ein
Todesurteil gegen diesen Mann erlassen...für mich ist das Mord.« Und
zwar nicht der einzige. Bei der israelischen Armee lacht man über solche
Fälle, berichtet der Ex-Soldat in dem Buch Breaking the Silence,
das nach der Veteranengruppe benannt wurde. Für die Getöteten gab es
Codenamen. Neben dem »Späher« zum Beispiel auch den »Trommler«, die
»Frau«, den »alten Mann«, den »Jungen« oder den »Bäcker«.
Nachts, wenn die Armee kommt...
Nachts, wenn in den Palästinensergebieten die israelische Armee
kommt, um einen Verdächtigen zu verhaften, werfen die Soldaten erst mal
Steine gegen die Haustür, damit die Bewohner aufwachen. »Wenn das nicht
funktioniert, dann schießt man in die Luft oder in die Wand«, berichtet
ein ehemaliges Mitglied einer Spezialeinheit. Als man einmal zwei
Verdächtige habe verhaften wollen, schoss eine Einheit des Militärs mit
einem Maschinengewehr in die Wand: »Eine Salve, fünf, sechs Mal:
rat-tat-tat-ta, so ... sie haben viel und wiederholt geschossen, es war
gegen das Standardverfahren...in dem Haus waren zu dem Zeitpunkt
Menschen, sie kamen heraus, Kinder, Alte, Frauen ... ich sage mal, es
gibt Wände, auf die du mit dem Maschinengewehr schießt, und … es geht
durch.« Nachdem der Verdächtige aus einem anderen Haus gekommen sei,
habe er ihn dem Brigadekommandeur übergeben. Der habe beschlossen, »den
Gefangenen auch daran zu erinnern, wer hier der Boss ist, wer der Jude
und wer der Araber, wer der Gefangene ist, und er hat ihm vielleicht
zwei, drei, vier Stöße versetzt, mit dem Ellenbogen in die Rippen, ein
Tritt in den Arsch, alle möglichen...«
Zwar ist das per Gesetz verboten, glaubt man jedoch den Veteranen,
pfeifen die Israelis vor Ort darauf. Bei den Berichten gehen einem die
Augen über, wie die »einzige Demokratie im Nahen Osten« mit Menschen
umspringt. Die wirklichen Menschenrechtsprobleme scheinen gar nicht so
sehr in Syrien oder im Iran zu liegen, sondern in Israel und den
Palästinensergebieten: »Wenn die Jungs vom Schabak Geheimdienst mitten
in der Nacht Leute aus ihren Häusern holen, dann verbinden
sie ihnen die Augen und treten ihnen in den Bauch«, erzählt ein Veteran
einer Panzereinheit: »Es ist drei Uhr früh, sie öffnen die Tür, sie
stürmen in das Haus. Die Mutter ist hysterisch, die ganze Familie ist
hysterisch...sie schicken jemanden zum Nachschauen, es sind nicht immer
Terroristen die sie suchen, sie bringen sie runter... man kann sich
nicht vorstellen, was dem Kerl durch den Kopf geht … er hat die Augen
verbunden, zwei Soldaten halten ihn von hinten fest, und weitere
Soldaten folgen. … Da ist dieser Mann in Handschellen, und sie treten
ihn in den Bauch und an den Kopf … diesen Typen hat das einfach Spaß
gemacht.«
Gliedmaßen an der Wand verschmiert
Und so geht es immer weiter: Da war zum Beispiel auch dieser Tag im
Jahr 2008 im Gazastreifen: »Sie haben an eine Tür geklopft, lange und
viel«, erzählt ein ehemaliger Angehöriger einer Givati-Brigade
(Infanterie). Wenn in so einem Fall niemand aufmacht, holt die
israelische Armee nicht etwa den Schlüsseldienst oder ein Stemmeisen.
Vielmehr habe man einen Sprengsatz an der Tür angebracht und gezündet.
Genau als die Hausfrau die Tür aufmachen wollte. Ihre Gliedmaßen waren
»auf der Mauer verschmiert«, berichtet der Veteran: »Und dann sind ihre
Kinder hergekommen und haben sie gesehen. Ich habe davon während des
Abendessens nach der Operation gehört, einer hat gesagt, dass es lustig
war, und alle haben sich über die Situation kaputt gelacht, als die
Kinder ihre auf der Wand verteilte Mutter gesehen haben.«
Breaking the Silence – Israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten. Gebunden, 409 S., Euro 19,99.
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