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Samstag, 23. Mai 2015

Steuertrickser beraten EU-Kommission LuxLeaks & SwissLeaks lassen grüßen

Lobbyismus in der EU
An dem Tag, an dem der „SwissLeaks-Skandal“ die europäische Öffentlichkeit schockierte, nahm ein Steuerexperte der HSBC Bank – die in den Skandal involviert war – Platz in der Europäischen Kommission. Er war nicht dort, um Fragen hinsichtlich der skandalösen und höchst illegalen Praktiken seines Arbeitgebers zur Steuervermeidung zu beantworten. Nein, John Everett wurde vielmehr eingeladen, um die Kommission als Mitglied einer neu geschaffenen Beratergruppe bei der Bekämpfung von Steuervermeidung zu beraten. Außer ihm wurden Kollegen von Barclays – der britischen Bank, der einst vorgeworfen wurde, eine „Steuervermeidungsfabrik“ zu betreiben – sowie von KPMG, einer der Beratungsfirmen, die in den „LuxLeaks“-Skandal verwickelt war, in die Gruppe geholt.

Steuervermeidungsindustrie dominiert Beratung

Das Bild zeigt die Zentrale von HSBC in London.
Das Bild zeigt die Zentrale von HSBC in London.
Im vergangenen Oktober berief die für Steuerpolitik zuständige Generaldirektion Steuern und Zollunion ein neues Expertengremium zum automatischen zwischenstaatlichen Informationsaustausch über Finanzkonten ein. Die Gruppe soll die Kommission bei der Einführung dieser Methode in der EU beraten, um grenzüberschreitende Steuerermittlungen zu vereinfachen und so Steuervermeidung und -hinterziehung zu bekämpfen. Eine an und für sich begrüßenswerte Idee.
Allerdings zeigen Untersuchungen unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO), dass das Gremium von der Finanzwirtschaft dominiert wird – was eine ausgewogene Beratung ziemlich unrealistisch macht. Die Generaldirektion vergab 16 der 25 Sitze an Vertreter großer Banken und der Finanzindustrie. Und das, obwohl das Mandat des Gremiums eine Ausgeglichenheit von Interessen vorsieht.

Wer mitmischt

Drei Sitze wurden an nationale Bankenverbände – an den britischen, französischen und luxemburgischen Bankenverband – vergeben, die alle gleichermaßen die Interessen großer internationaler Banken vertreten. Als ob das noch nicht genug wäre, wurde zusätzlich auch dem europäischen Dachverband, der European Banking Federation (EBF), ein Sitz zugeteilt. Von den verbleibenden neun Sitzen wurden drei an Mischverbände (die sowohl private als auch öffentliche Mitglieder vertreten) und einer einem Verband von Genossenschaftsbanken zugeteilt. Zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden fünf der 25 Sitze zugesprochen, darunter das Netzwerk für Steuergerechtigkeit und Oxfam International. Vertreter von Gewerkschaften oder von kleinen und mittelständischen Unternehmen sind nicht vertreten.

Bemühungen um Beteiligung der Zivilgesellschaft

Wie aus Kreisen der beteiligten zivilgesellschaftlichen Vertreter bekannt wurde, war die EU-Kommission durchaus darum bemüht, mehr Berater einzubeziehen, die nicht von der Unternehmensseite stammen. Hier zeigt sich allerdings das eklatante Problem der Macht- und Ressourcenungleichgewichte von Lobbyakteuren in Brüssel.  Oftmals scheitert die Mitgliedschaft in Beratergruppen an zeitlichen und finanziellen Ressourcen zivilgesellschaftlicher Organisationen. Eine Akutlösung wäre die finanzielle Unterstützung von Interessenvertretern mit geringeren Mitteln durch die Europäische Kommission.

Hintergrund der Experten oft intransparent

Des weiteren ist die fehlende Transparenz bei den Mitgliedern der Beratergruppe problematisch. Die Identität der berufenen Experten wird oft verschleiert. Man muss sich erst den Lebenslauf der Mitglieder anschauen, um auf deren weitere Tätigkeiten zu stoßen. Der bedenklichste Fall ist dabei John Everett, der offiziell den britischen Bankenverband repräsentiert, aber gleichzeitig Leiter der Abteilung für Steuerdienstleistungen bei HSBC ist.

Was macht HSBC in der Expertengruppe?

Sollte HSBC dort überhaupt vertreten sein? Die Bank hat kürzlich durch ihre Rolle im „SwissLeaks“-Skandal zu Recht viel Wut von der Öffentlichkeit zu spüren bekommen. Nachdem bekannt wurde, dass die HSBC unter ihren Kunden für Modelle zur Steuervermeidung geworben hatte, wurden in Frankreich und Belgien polizeiliche Ermittlungen gegen die Bank eingeleitet.
Es ist nicht das erste Mal, dass HSBC Ziel von Ermittlungen und Strafanzeigen aufgrund von finanziellem Fehlverhalten ist. So musste die Bank insgesamt $ 3,473 Milliarden wegen Marktmanipulation im Skandal um Auslandswährungen und der Beihilfe zur Fälschung von Pensionsfonds zahlen. Die dafür zuständige Untersuchungskommission hatte HSBC vorgeworfen, Zinssätze manipuliert zu haben.
HSBC berät nicht nur die Europäische Kommission: Everett sitzt in vergleichbaren Gremien in Großbritannien, den USA und in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).  Auch wenn Everett also nicht mehr Teil der Expertengruppe zum automatischen Informationsaustausch wäre, besitzt HSBC andere Möglichkeiten, ihre Interessen zu verteidigen, da sie bekanntermaßen Mitglied von mindestens acht der im Gremium vertretenen Verbände ist.

„Steuervermeidungsfabrik“ Barclays sitzt auch am Tisch

Barclays ist eine weitere britische Bank, die direkt in der Gruppe vertreten ist. Der Leiter der Barclays Steuerabteilung, Martin Gilmartin, sitzt dort als Repräsentant der „International Swaps and Derivative Association“ (ISDA) und ist als Ersatzrepräsentant des britischen Bankenverbandes aufgelistet. Wie bei der Repräsentation von HSBC, vervielfacht sich auch Barclays Gewicht im Gremium durch ihre Mitgliedschaft bei mindestens fünf beteiligten Verbänden.

Auch Steuervermeider KPMG ist dabei

Die problematischsten Mitglieder der Expertengruppe stammen jedoch weder von HSBC noch von Barclays. Viel fragwürdiger ist die Anwesenheit von Mitarbeitern des Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsunternehmens KPMG, dessen Steuervermeidungsmodelle für Unternehmen im Rahmen der “LuxLeaks”-Affäre öffentlich wurden.
Gleich drei Mitarbeiter von KPMG sitzen direkt in der Expertengruppe. Sie vertreten dabei unterschiedliche Verbände, so dass dies nicht auf den ersten Blick auffällt. Kevin Charlton, Direktor der Abteilung „Investment Management Steuern“ (als Repräsentant des Verbands Alternative Investment Association); George Bock, geschäftsführender Gesellschafter (als Repräsentant der „Association of the Luxembourg Fund Industry“); und Gerard Laures (als Repräsentant des Luxemburgischen Bankenverbandes sowie als stellvertretender Repräsentant der „Association of the Luxembourg Fund Industry“). Genau wie bei HSBC und Barclays werden die Interessen von KPMG darüber hinaus von mindestens sieben weiteren in der AEFI vertretenen Verbänden repräsentiert.

Expertengruppen: Notwendigkeit für Reformen

Eine Studie unserer europäischen lobbykritischen Allianz ALTER-EU stellt dar, wie die Generaldirektion Steuern und Zollunion die meistens von Unternehmensvertretern dominierten Expertengremien überhaupt einberuft und so jedes mal den Bock zum Gärtner macht.
In der Tat waren sieben der jetzt in die Expertengruppe berufenen Mitglieder ebenfalls schon bei der von Wirtschaftsvertretern dominierten Expertengruppe zur Besteuerung von Spareinlagen eingebunden. Die Intention dieser Gruppe war es, strikter gegen die Nutzung von Steueroasen vorzugehen. Ihre Ziele konnte die Gruppe jedoch nicht erreichen, da viele ihrer Mitglieder sich aktiv gegen weitere Regulierung einsetzten. Die jetzige Gruppe läuft Gefahr, in die gleiche Falle zu tappen.
Die Generaldirektion Steuern ist keineswegs ein Einzelfall, wenn es darum geht, Unternehmenslobbyisten einen privilegierten Zugang zur Politik zu verschaffen. Einseitige und intransparente Expertengruppen durchziehen die gesamte Europäische Kommission, insbesondere aber die Gebiete von hoher politischer und wirtschaftlicher Tragweite.

Hoffnung: Kritik der Europäischen Ombudsfrau

Die vielversprechendste Chance eine ausgeglichenere Besetzung von Expertengruppen der Kommission herbeizuführen, bietet die laufende Untersuchung der europäischen Ombudsfrau Emily O’Reilly. Im Januar veröffentlichte sie diesbezüglich eine Zusammenstellung von Empfehlungen zu den Expertengruppen. Die Europäische Kommission hat bis heute noch nicht darauf reagiert, sondern stattdessen um eine Verlängerung der dreimonatigen Frist für eine Antwort gebeten.
Trotz einiger selbstkritischer Äußerungen vom zuständigen EU-Transparenzkommissar Frans Timmermans verändert die Kommission bislang nichts Grundlegendes und hält an ihrer Taktik der Verschleierung und Verschleppung der vergangenen Jahre fest. Gleichzeitig werden wie üblich neue intransparente, von der Industrie dominierte Expertengruppen geschaffen, die die privilegierte Rolle großer Unternehmen weiter vergrößern und zementieren.
Die neue von O’Reilly gesetze Frist ist der 31. Mai. Wenn Timmermans und die EU-Kommission dem Europäischen Parlament und der Ombudsfrau glaubhaft vermitteln wollen, dass sie das Problem der einseitigen Beratung angehen, dann müssen sie eine detaillierte Antwort darauf geben, wie und wann sie dafür sorgen wollen. Wir erwarten mit Spannung, ob auch in Zukunft die Steuervermeidungsindustrie den Ton bei der Beratung der EU-Steuerpolitik angibt.

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