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Dienstag, 25. November 2014

Warum wir uns die Welt schönreden: Wie kognitive Dissonanz unser Leben bestimmt

Jeden Tag treffen wir Entscheidungen. Sie können banal sein, beispielsweise, dass wir heute lieber Vanille- statt Schokoladeneis essen, Kaffee gegenüber einem grünen Tee bevorzugen oder mit Freude eine Boulevardzeitschrift lesen, anstatt uns mit politischem Zeitgeschehen zu beschäftigen.
Natürlich gibt es in unserem Leben auch viele elementare, komplexe Entscheidungen, die wir treffen müssen - wie die Wahl des richtigen Studiums oder die unseres Lebenspartners. Doch ganz egal, ob es sich um einfache oder komplexe Entscheidungen handelt, die unser Leben verändern: immer entscheiden wir uns zwischen verschiedenen Alternativen. Und bei jedem Entschluss, den wir fassen, kann es passieren, dass wir durch Informationen, die wir im Nachhinein erhalten, feststellen, dass eine andere Wahl vielleicht die bessere gewesen wäre.
Selbstverständlich hat jede Entscheidung auch bereits von Beginn an ihre Vor- und Nachteile. Wenn Sie also zu Ihrer heiß begehrten Lieblingsschokolade greifen, obwohl Sie ein paar Kilo zu viel wiegen und genau wissen, dass sich das Ergebnis auf der Waage bemerkbar machen wird, können ebenfalls Konflikte entstehen.
Kognitive Dissonanzen reduzieren
Mit dem Begriff der "kognitiven Dissonanz" (lateinisch "cognoscere" erkennen, erfahren; "dis", unterschiedlich und "sonare" klingen) bezeichnen Psychologen einen negativen Gefühlszustand, den wir verspüren, wenn wir unvereinbare Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten haben. Diese ambivalenten Gefühle und Bestrebungen empfinden wir umso stärker, je mehr Erkenntnisse wir gewinnen, die nicht für die von uns gewählte Alternative sprechen oder je mehr unser eigenes Verhalten unseren Einstellungen zuwiderläuft.
Die Theorie der "kognitiven Dissonanz" besagt, dass wir eine starke Neigung verspüren, die erlebte kognitive Dissonanz möglichst rasch zu reduzieren. Wir versuchen die gegensätzlichen Tendenzen miteinander vereinbar zu machen, wobei wir unterschiedliche Strategien wie beispielsweise Einstellungsänderungen oder Verhaltensänderungen benutzen. Falls nötig, ändern wir sogar unsere eigenen Überzeugungen und Werte.
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Abbildung: © Diana Wolfraum - Fotolia.com
Stellen Sie sich vor, dass Sie schon lange gemeinsam mit Ihrer Familie beschlossen haben, sich einen Hund anzuschaffen. Die Rasse war von Anfang an klar: Nur ein Schäferhund kam für Sie in Frage - und zufällig war da ganz in Ihrer Nähe ein Züchter mit ganz entzückenden Welpen. Die ganze Familie verliebte sich sofort in einen der kleinen Racker, der besonders fröhlich und zutraulich wirkte, denn allen war wichtig, einen sehr lieben und friedlichen Hund zu haben. Am Tag, als Sie ihn dann endlich abholten, waren alle glücklich über das neue Familienmitglied.
Doch nach einigen Wochen lesen Sie einen Artikel in einer Hundezeitschrift, in dem Ihr Züchter scharf kritisiert wird, weil er seine Tiere unter grausamen Bedingungen hält und viele Hunde aus seinem Zwinger unberechenbare und gefährliche Beißer geworden sind. Zudem neige die Schäferhundrasse ohnehin zu Aggressivität, heißt es weiter im Artikel. Sie lesen es und können - oder vielmehr wollen - es doch nicht glauben, denn Ihr süßer Welpe Trigger hat mit seinem sanften Charakter längst das Herz der Familie erobert.
Zunächst sind Sie davon überzeugt, dass es sich bei Trigger um eine Ausnahme handelt, weil er ein besonders freundliches Wesen hat, und Sie machen sich keine weiteren Gedanken. Nach einigen Monaten jedoch schnappt Trigger wütend bellend und zähnefletschend nach Ihren Nachbarn. Nach einem ersten Schreck macht sich ein Gefühl der Verunsicherung in Ihnen breit. Sie fragen sich, ob Trigger wirklich der ist, für den Sie ihn halten.
Dann verfallen Sie in wilden Aktionismus: Sie lesen alles, was Sie im Netz über die Schäferhundrasse finden können, jedes Wort saugen Sie auf, in jeder Zeile suchen Sie voller Hoffnung nach den positiven Eigenschaften des Hundes, um Ihre Entscheidung zu rechtfertigen. Außerdem vermuten Sie, dass Trigger vielleicht einfach nur den Nachbarn nicht leiden kann.
Als Ihr Hund aber kurze Zeit später vor dem Haus einen harmlosen Passanten anfällt, können Sie sich das Problem nicht mehr schönreden. Das letzte Mittel wäre, Ihre Einstellung grundlegend zu ändern. Sie könnten mit Trigger zu einer Hundeschule gehen und versuchen, einen anständigen Begleithund aus ihm zu machen. Eine Methode, die Sie bis dato jedoch als reine Zeitverschwendung und unnützen Drill abgelehnt haben.
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Abbildung: © WavebreakmediaMicro - Fotolia.com
Zur Verdeutlichung möchten wir Ihnen ein weiteres Beispiel geben: Klaus hat an einer renommierten Privat-Universität in Oestrich-Winkel begonnen BWL zu studieren - vielleicht auch deshalb, weil Freunde und Eltern ihm dazu geraten haben. "Was willst du mit Philosophie?", hieß es jedes Mal, wenn er erwähnte, was ihn wirklich interessierte. "Du musst etwas Vernünftiges machen, etwas, mit dem du später was anfangen kannst. Du brauchst eine solide Grundlage, mit der du Geld verdienen kannst, vertraue uns".
Schließlich hatte Klaus sich überzeugen lassen. Er absolvierte die Aufnahmeprüfung und begann voller Erwartungen und ungeduldiger Neugier sein Studium. Doch bereits nach zwei Semestern hatte er die Nase gestrichen voll: BWL war trocken. Ganz besonders Kosten-Leistungsrechnung, Rechnungswesen und Statistik ließen ihn regelrecht verzweifeln.
Er konnte mit Zahlen, Formeln und statischen Rechenwegen einfach nichts anfangen und auch volkswirtschaftliche Theorien waren weiß Gott nicht sein Ding. Dennoch erzählte er Freunden und seinen Eltern begeistert davon, wie praxisnah doch dieses Studium und wie interessant gerade die volkswirtschaftlichen Theorien doch seien. Klaus versuchte seine Entscheidung zu rechtfertigen und sie sich selbst schönzureden, koste es was es wolle.

Fehler korrigieren
Normalerweise ertragen wir kognitive Dissonanz nicht lange. Wir fühlen uns unwohl und suchen nach Möglichkeiten, diesen Widerspruch aufzulösen. Nachdem wir schon die Strategien des Hundebesitzers kennengelernt haben, schauen wir uns noch einmal an, welche Lösungsmöglichkeiten es im Fall des unglücklichen BWL-Studenten Klaus gäbe.
Er könnte natürlich so weitermachen wie bisher und seine Unzufriedenheit verdrängen, sein Verhalten rechtfertigen und sich das Studium weiter schönreden. Oder aber er ändert seine Einstellung, ist zunächst einmal ehrlich zu sich selbst und findet schließlich den Mut, seinen Eltern und Freunden einzugestehen, dass er sich und ihnen etwas vorgemacht hat und BWL einfach nichts für ihn ist.
Natürlich müsste Klaus dann auch handeln, sein Studium beenden und das studieren, was ihm am Herzen liegt: Philosophie. Das wäre konsequent, weil er freiwillig in der BWL-Vorlesung sitzt, sich langweilt und längst festgestellt hat, dass der Umgang mit Zahlen nicht zu seinen Leidenschaften zählt.
Soviel zur Theorie. In der Praxis treffen wir häufig Entscheidungen, die wir im Nachhinein bereuen, oder wir lassen uns zu Dingen hinreißen, die wir eigentlich nicht tun sollten. Nicht immer wägen wir Alternativen rational ab, machen uns Pro- und Kontra-Listen und durchdenken alle Optionen bis zum Ende. Häufig entscheiden wir emotional aus dem Bauch heraus.
Das Wichtigste, das Sie sich zunächst vor Augen halten sollten, ist, dass es nahezu keine Entscheidung gibt, die unabänderlich ist. Meist können wir sie korrigieren und aus Fehlern lernen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Sie offen und ehrlich zu sich selbst sind und mit allen Konsequenzen zu Ihrer Entscheidung stehen.
Verschließen Sie aber auch vor unangenehmen Wahrheiten, die Ihre Wahl oder Ihr Verhalten infrage stellen, nicht die Augen. Gestehen Sie sich zu, Fehler zu machen. Und auch wenn es unbequem erscheint: seien Sie mutig genug, Ihre Entscheidungen zu revidieren oder Ihre Verhaltensweisen zu ändern. Denken Sie immer daran, was Konfuzius einst gesagt hat: "Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten."
Quelle: Sandra Maxeiner, Hedda Rühle (2014), Dr. Psych's Psychopathologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Band 1 (ISBN: 978-3-9523672-0-9) und Band 2 (ISBN: 978-3-9523672-1-6)

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