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Dienstag, 1. Mai 2012

Ein neuer Geheimdienst für die USA

Naiv gedacht könnte man glauben, den Vereinigten Staaten mangele es nicht an Geheimdiensten. Doch die Entscheidungsträger in Washington sehen das anders. So wurde nun eine weitere »Spionagefabrik« ins Leben gerufen, die unter dem Namen »Defense Clandestine Service« firmiert. Sie entstand im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Reorganisation und soll sich einigen bislang vernachlässigten Aufgabenfeldern widmen, um die Lücken im Flickenteppich der US-Geheimdienste zu schließen.


Soweit bekannt ist, verfügen die Vereinigten Staaten über mehr als zwei Dutzend waschechter Geheimdienste. Da gibt es natürlich die berühmte Central Intelligence Agency, die National Security Agency, das National Reconnaissance Office, die National Geospatial-Intelligence Agency, das Office of Intelligence and Analysis, das Office of Terrorism and Financial Intelligence, den Secret Service und viele mehr. Um die Kooperation der verdeckt operierenden Behörden ist es keineswegs immer zum Besten bestellt, auch wenn 
übergeordnete Instanzen für Geschlossenheit stehen. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich an der Rolle und den Aufgaben der Geheimdienste so manches geändert, und auch die US-Bundespolizei FBI übernahm Funktionen, die ihr mehr und mehr den Charakter eines weiteren Geheimdienstes aufprägten. Seit jener Zeit denken die Superhirne der Landesverteidigung ohnehin immer wieder über Neustrukturierungen der Dienste nach. Unlängst wurde ein völlig neuer US-Geheimdienst ins Leben gerufen, der unter dem Namen »Defense Clandestine Service« bekannt wurde – in etwa »heimlicher Verteidigungsdienst«. Gemäß einem von US-Verteidigungsminister Leon Panetta gebilligten Plan sollen die Beamten dieses neuen Dienstes eng mit ihren Kollegen der CIA zusammenarbeiten, gerade auch, da Militär und Geheimdienste zunehmend auf sehr ähnliche Ziele ausgerichtet seien.


Die durch den Faktor Mensch bestimmte Spionageeffektivität soll mittels des neuen Dienstes besser kanalisiert und somit merklich gesteigert werden. Der Defense Clandestine Service bezieht seine Mitarbeiter zu mindestens 15 Prozent aus der altgedienten Defense Intelligence Agency (DIA), die global bereits bei sehr wesentlichen Facetten des Spionage-Kanons aktiv ist, sei es Terrorismus oder Waffenverbreitung, und relevante Informationen an aktive Truppenverbände weitergibt. Der neue Geheimdienst soll stattdessen auch das jeweilige nationale Umfeld verstärkt ins Visier nehmen und nachrichtendienstliche Informationen außerhalb der Kriegsgebiete sammeln, um die neu gewonnenen Daten anderen US-Geheimdiensten zur Verfügung zu stellen – ebenfalls der Versuch, eine stärkere Kooperation zu schaffen, wodurch der Defense Clandestine Service im Idealfall neue Kanäle öffnen und für eine Vernetzung der Strukturen sorgen könnte.

Einzelheiten zu den Aufgabenstellungen dringen naturgemäß nicht nach außen, eher werden »aus gut informierten Kreisen« einige Andeutungen hinter vorgehaltener Hand und unter der Bedingung absoluter Anonymität gemacht. So gab es auch aus dem US-Verteidigungsministerium einige knappe Kommentare an ausgewählte Journalisten, die wiederum keine Namen enthüllen durften. Hier war lediglich vage zu vernehmen, dass der neue Dienst dafür Sorge zu tragen habe, dass sich die erforderlichen Kräfte wirklich stets an den richtigen Örtlichkeiten zu befinden hätten, um die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Natürlich gehe es auch darum, die Spionagetätigkeit auszuweiten. Militärspionage sei bislang vor allem auf den Irak und Afghanistan fokussiert gewesen. Am 23. April verlautbarte das Pentagon, im Rahmen der geheimdienstlichen Neuorganisation nunmehr die Spionagetätigkeit hinsichtlich gewisser Ziele hoher Priorität zu intensivieren, dies auch außerhalb von Kriegsgebieten. Insbesondere zählen zu solchen aktuellen Zielen natürlich der Iran und China. Um dies zu erraten, bedarf es sicherlich keiner intimeren Kenntnisse geheimdienstlicher Begehrlichkeiten des 21. Jahrhunderts. Allerdings resultieren die aktuellen Pläne aus einer klassifizierten Studie, die 2011 abgeschlossen wurde.

Für die Aufgaben werden gegenwärtig einige Hundert DIA-Mitarbeiter abgestellt, durchweg Personal mit gediegener geheimdienstlicher Erfahrung. Und für die kommende Zeit wird wohl eine ähnliche Zahl weiterer DIA-Leute in den Dienst der neuen verschwiegenen Behörde treten. Dabei werden sie offenbar aber keineswegs Aufgaben der CIA oder dessen National Clandestine Service übernehmen. Wiederholt wird die Betonung auf eine stärkere Zusammenarbeit der einzelnen Dienste gelegt, was gerade durch den jetzigen »Nachwuchs« erreicht werden soll.

Bei der DIA ist derzeit einiges in Bewegung. Kürzlich wurde Lieutenant General Michael T. Flynn als nächster DIA-Chef nominiert, ein erfahrener Geheimdienstoffizier der Vereinigten Stabschefs, der unter anderem laut New York Times ein Pionier neuer nachrichtendienstlicher Methoden ist, die er im Irak und in Afghanistan zum Einsatz brachte, um terroristische Netzwerke effektiv auszuhebeln. Eine Woche nach Flynns Nominierung wurde der neue Plan zum Defense Clandestine Service vorgelegt, den der führende Nachrichtendienstexperte des Pentagon, Michael G. Vickers, zusammen mit seinem CIA-Pendant Michael Sulick, Chef des National Clandestine Service (NCS) entwickelt hatte. Der NCS wurde in direktem Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September ins Leben gerufen.

Letztlich läuft alles wieder auf eine Erweiterung weltweiter verdeckter Operationen und Anreicherung geheimer Informationen hinaus – die Globalisierung der Spionage eben, soweit sie noch gesteigert werden kann.

Quelle: 
www.kopp-verlag.de