Die Mär von der »schwäbischen Hausfrau«
Zu den zentralen Herausforderungen von Redenschreibern für Politiker und Manager gehört es,
möglichst einfach und einprägsam zu formulieren. Die Botschaft soll bei den Menschen ankommen, außerdem gilt es, den Medien griffige Zitate zu liefern. Angeblich war es Angela Merkel, die irgendwann einmal von den Tugenden der »schwäbischen Hausfrau« schwärmte und diese den Schuldensündern als Zukunftsmaximen empfahl. Klarer Fall: Die »schwäbische Hausfrau«, so die weitverbreitete Vorstellung, geht sorgsam mit ihrem Geld um, scheut unnötige Ausgaben und legt regelmäßig etwas auf die hohe Kante. Sie macht nach Möglichkeit keine Schulden (es sei denn für’s eigene Häusle) und richtet ihre Ausgaben konsequent an ihren Einnahmen aus. So etwas nennt man solides Wirtschaften. Hätten die Regierungen zu allen Zeiten nach diesem Prinzip gehandelt, wären uns Schuldenkrisen, Phasen der Hyperinflation und Währungsreformen wohl erspart geblieben. Bekanntlich kam es aber anders.
Nun also wird insinuiert, die seit Jahren eskalierende Schuldenkrise ließe sich mit der Mentalität einer schwäbischen Hausfrau lösen. Ganz so, als hätte mal eben die eine oder andere Regierung in der Euro-Zone etwas über die Stränge geschlagen und ein wenig zuviel aus der Schuldenpulle geschluckt. Ein Problem, das man mit Mäßigung und Sparsamkeit aber bald wieder in den Griff bekommt. Angesichts der tatsächlichen Schwierigkeiten – nicht nur in der Euro-Zone! – mutet eine solche Vorstellung nicht nur naiv, sondern nachgerade bizarr an.
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, haben in den vergangenen Monaten und Jahren sicher ungläubig verfolgt, wie immer größere Rettungsschirme aufgespannt werden mussten, um den Bankrott von Euro-Staaten und damit das Scheitern des Euro schlechthin zu verhindern. Ich möchte Sie an dieser Stelle deshalb nicht mit neuen Zahlen- und Datenkaskaden langweilen. Dennoch sollte man sich das wahre Ausmaß der Schuldentragödie vor Augen führen, um zu erkennen, dass die Tugenden einer »schwäbischen Hausfrau« allein ganz gewiss nicht ausreichen, um die den Wohlstand der Menschen bedrohenden staatlichen Schuldenexzesse zu beseitigen oder zumindest zu entschärfen. Der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Professor Bernd-Thomas Ramb stellte schon vor einiger Zeit in einem Dossier (»Vor der nächsten Währungsreform«) goldrichtig fest: »Tausend Jahre reichen nicht zum Schuldenabbau. Ein solch großer Schuldenberg kann mit den normalen Mitteln der Sparsamkeit nicht mehr abgetragen werden.« Den größten Schuldensünder innerhalb der EU habe ich bereits erwähnt: Griechenland steht mit etwa 158 Prozent seines BIP in der Kreide. Das Nachbarland Italien kam im Jahr 2011 auf über 120 Prozent, Irland auf 112 Prozent und Portugal auf über 101 Prozent. Die belgischen Staatsschulden summieren sich auf circa 97 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung – und auch Deutschland und Frankreich haben die 80-Prozent-Marke, ab der Staatsschulden von Ökonomen als sehr kritisch angesehen werden, deutlich überschritten. Die Vereinigten Staaten – immer schnell zur Stelle, wenn es gilt, den Europäern fragwürdige Ratschläge zur Lösung ihrer Schuldenprobleme zu erteilen – weisen, gemessen am BIP, sogar noch eine höhere Schuldenquote auf als Belgien. Doch der absolute Schuldenkönig unter den führenden Industrienationen ist Japan. Dort entsprach der Schuldenberg im Jahr 2011 über 236 Prozent des BIP. Und die Schuldenparty geht munter weiter: Bis zum Jahr 2013 brauchen allein die Euro-Staaten insgesamt 1,5 Billionen Euro, um auslaufende Kredite abzulösen und Löcher in ihren nationalen Haushalten zu stopfen. Und noch vermag niemand abzuschätzen, welche Mittel erforderlich sein könnten, um von der Pleite bedrohte Banken zu retten.
Die Staatsschulden sind schon besorgniserregend genug, hinzu kommen die Verbindlichkeiten von Banken und Unternehmen. Manche von ihnen sind ebenfalls bis zur Halskrause verschuldet. Der ehemalige Investmentbanker, Silberexperte und Autor Thorsten Schulte schreibt in seinem aktuellen Buch Vermögen retten – in Silber investieren (erschienen zum Jahreswechsel 2011/2012 im KOPP Verlag) von einer »unglaublichen Blase« von Anleihen, die Staaten, Banken und Unternehmen begeben hätten. »Ende der 1980er-Jahre zirkulierten gerade einmal Staatsanleihen, Bankschuldverschreibungen und Unternehmensanleihen im Wert von rund 15 Billionen Dollar um den Globus. Anfang 2011 lag der Wert dieses Anleihenberges bereits bei fast 98 Billionen Dollar. Die Menge von Papiergeld ist in den letzten 30 Jahren gigantisch angestiegen. In den 34 Mitgliedsstaaten der OECD ... hat sich die Geldmenge zwischen 1980 und Mitte 2011 verachtzehnfacht«, schreibt Schulte. Wenn eine Aktiengesellschaft eine Kapitalerhöhung ankündigt und neue Aktien auf den Markt bringt, kommt dies bei den Börsianern in aller Regel schlecht an. Sie befürchten eine Verwässerung des Kurses, wenn mehr Anteilsscheine an dem betreffenden Unternehmen ausgegeben werden. Was bedeutet es aber für unser Geld, wenn sich die Geldmenge in etwas mehr als 30 Jahren verachtzehnfacht? In diesem Zusammenhang von einem »Verwässerungseffekt« zu sprechen, wäre wohl sehr zurückhaltend formuliert.
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